Mit Genugtuung konnten wir feststellen, dass unser Erstlingswerk als neue Redaktion der „radikal“ eingeschlagen ist. Die Reaktionen auf die Nummer 161 waren so zahlreich, wie heftig und reichten von Luftsprüngen bis zu intellektuellem Ekel vor soviel vermeintlichem „Rot“. Der Großteil dessen, was uns zu Ohren kam, war erst einmal positiv. Es überwog die Freude darüber, dass die Radi weiter erscheint, dass die Repressionsbehörden das Ding nicht kaputt kriegen.
Am interessantesten fanden die meisten Leute, mit denen wir uns unterhalten haben, wieder einen O-Ton von der „militanten gruppe“ (mg) gelesen zu haben. Die beiden Beiträge hatten nach so langem Schweigen natürlich die größte Resonanz, doch dazu später noch ein paar Worte.
Uns erreichte auch einiges an sehr solidarischer Kritik, die wir versuchen werden in Zukunft zu berücksichtigen. Auf eine dieser Kritiken wollen wir aus verständlichen Gründen kurz eingehen. Und zwar geht es dabei um den berechtigten Vorwurf der fehlenden Kontaktadresse. Wir müssen ohne Umschweife eingestehen, dass wir schlicht nicht in der Lage waren eine sichere Auslandadresse zu besorgen. Dieses Problem hat uns ziemlich viel Stress bereitet und wir sind bis heute nicht zu einer zufrieden stellenden Lösung gekommen. Dadurch mussten wir das Erscheinen der 161 immer wieder verschieben, bis wir uns entschieden, unser Erstlingswerk auch ohne Kontaktadresse zu bringen. Als provisorische Abhilfe dient vorerst eine e-mail-Adresse, die ihr am Ende des Vorwortes findet.
Was uns wirklich überrascht hat, waren die Reaktionen einiger ehemaliger GenossInnen, die sich nicht zu dumm waren, für die „radikal“ ein Copyright zu beanspruchen und uns einen „Retro“- Vorwurf unter zu jubeln. Die „radikal“ ist 3 Jahre nicht erschienen und ihr hättet sie, wenn ihr ehrlich seid, nicht weitergeführt. Wo ist euer Problem? Als ein klandestiner Organisierungsansatz brauchen wir unzensierte linksradikale Medien wie die Luft zum Atmen. Um das ganz klar zu sagen, wir hätten uns lieber an der „radikal“ beteiligt, anstatt uns die ganzen Lasten dieses Projektes aufzuschultern. Die Arbeit an der Zeitung verschlingt Unmengen an Zeit und Energie, die wir auch anders investieren könnten. Nichtsdestotrotz haben wir uns den Schuh angezogen und Verantwortung übernommen, weil wir die Notwendigkeit dafür erkennen.
Die „radikal“ ist ein Projekt mit einer langen Geschichte voller Widersprüche und Brüchen. Ein Copyright für die „radi“ zu konstruieren ist einfach lächerlich. Liebe GenossInnen, die ihr da gekränkt seid, bitte kritisiert uns inhaltlich und überschüttet uns nicht mit Unterstellungen. Wer immer noch versucht, uns den ML-Stempel aufzudrücken bzw. uns in die maoistische „Schmuddel- Ecke“ stellt, will uns ganz offensichtlich nicht verstehen. Das ist kleinbürgerliche Sektiererei und Konkurrenzdenken, was da als Anarchismus verkauft wird. Wir sagen es jetzt hier noch einmal, wir als RL bzw. neues „radi“- Kollektiv sind keine Scheuklappen- Linken. Die RL ist ein Projekt, das Menschen aus den verschiedenen Fraktionen der revolutionären Strömung zu organisieren versucht. Wie wir schon in der Nummer 161 darlegten, haben uns die gemeinsamen Diskussionen über die verschiedenen Beiträge der Militanzdebatte bzw. über die Möglichkeiten eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses zusammen geführt. Unser Ausgangspunkt ist keine auswendig gelernte Lehrbuchmeinung, sondern orientiert sich an den Notwendigkeiten eben dieses revolutionären Prozesses.
Unsere inhaltliche Linie gründet sich auf der Dialektik eines sozialrevolutionär-klassenkämpferischen (also antikapitalistisch, antirassistisch und antipatriarchal) und antiimperialistisch-internationalistischen Ansatzes mit der klar definierten Zentralperspektive des Kampfes für den (libertären) Kommunismus. Proletarischer Klassenstandpunkt und proletarischer Internationalismus sind vor dem Hintergrund einer kommunistischen Befreiungsperspektive untrennbar, ein unauflösliches Band der eigenen Politik als revolutionäre Linke.
Und um dem nächsten Vorwurf zuvor zu kommen: unser theoretischer Ausgangspunkt ist es nicht, die Existenz eines alles überlagernden „Hauptwiderspruches“ (Kapitalismus) auszurufen, mit dessen Auflösung dann alle anderen „Nebenwidersprüche“ (Rassismus und Sexismus) automatisch verschwinden. Vielmehr gehen wir von der Verzahnung der verschiedenen eigenständigen Widersprüche aus, wobei wir den Kapitalismus/Imperialismus aktuell als den dominantesten betrachten – in dem Sinne, dass dieser alle anderen aufs engste mitbedingt und beeinflusst.
Unser strategischer Ansatzpunkt zielt auf die Schaffung und permanente Ausdehnung proletarisch- revolutionärer Autonomie auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen, d.h. auf politisch- ideologischem, kulturellem, organisatorischem usw. Gebiet. Es geht uns darum, durch die Etablierung eigener revolutionärer Werte, Normen und Strukturen die Gegenmacht von unten aufzubauen. Durch das Stärken der eigenen Seite soll das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen dahingehend verschoben werden, dass die offensive Zersetzung der politischen Macht durch unsere Klasse ermöglicht wird. Aus diesem Grund sind wir auch nicht daran interessiert, uns mit Etiketten (anarchistisch, maoistisch, marxistisch-leninistisch usw.) zu kleiden. Aus unserer Sicht macht es keinen Sinn, sich bereits in den organisatorischen Anfängen in kleinkarierten politisch-ideologischen Polemiken aufzureiben und zu verschleißen. Diese Differenzen werden sich sicherlich nicht dauerhaft umschiffen lassen, sie werden aber erst in einem fortgeschrittenen Stadium des revolutionären Prozesses eine zentralere Rolle einnehmen. Im Zentrum steht in erster Linie der Akt, dazu beizutragen, die Verschiebung der Kräfte zwischen den Klassen zu unseren Gunsten zu erkämpfen. Und dieser Erkenntnis haben sich hochgespielte Polit-Unterschiede unterzuordnen. Wir lehnen also sektiererisches Verhalten ab, unabhängig davon, ob es „schwarz“ oder „rot“ übermalt ist. Dieser Standpunkt ist nicht mit einer politischen Beliebigkeit zu verwechseln; wir setzen auf einen verbindlichen Ansatz, der sich an den Erfordernissen des revolutionären Aufbaus orientiert. Und genau dies sehen wir in unserem RL-Projekt verwirklicht.
Demnach befinden wir uns durchaus in einem kontinuierlichen Diskussionsverlauf. Wir setzen uns mit verschiedenen (historischen) Ansätzen auseinander und zwar auf der Grundlage, dass sie a.) Hilfsmittel für unseren Aufbauprozess sind, und b.) wir in vielen Ansätzen brauchbare, aber auch unbrauchbare Werkzeuge und Grundsätze für die eigene Politik entdecken. Wir betrachten dies als einen permanenten und nicht endenden Lernprozess. Mehr wollen wir an dieser Stelle über unsere konzeptionelle Ausrichtung nicht sagen. Vieles muss durch unsere weiteren Veröffentlichungen deutlicher werden.
In dieser Ausgabe dokumentieren wir einen RL-Aufruf zum Wahlboykott, den wir im September 2009 in mehreren Städten und im Internet verbreitet haben, sowie einen RL-Beitrag, der sich mit dem politischen (Massen-) Streik auseinandersetzt. Wir werden in Zukunft einige RL-Beiträge derart gestalten, dass diese eigenständig aus der „radi“-Ausgabe kopiert und verbreitet werden können.
Einige Kritiken, die uns auch häufiger erreichten, bezogen sich auf die Beiträge von und mit der „militanten gruppe“ (mg) und warfen uns als RL bzw. „radi“-MacherInnen mit den (mg-)GenossInnen in einen Topf. Dazu können wir nur feststellen: wir haben uns um die Diskussionen über die Militanzdebatte konstituiert und dementsprechend stehen wir der (vergangenen) Politik der (mg) nahe; wir versuchen im Rahmen der Möglichkeiten den komplexen revolutionären Aufbauprozess mitzugestalten und voranzubringen. All das heißt aber nicht, dass wir alles, was die (mg) publiziert hat, uneingeschränkt teilen. Für einen weiteren Diskussionsverlauf werden wir die (mg)-Positionen weiter entwickeln und auch an der einen oder anderen Stelle korrigieren müssen. Aus diesem Grund ist in dieser Ausgabe auch ein Reaktionsbeitrag dokumentiert, der bereits anderweitig veröffentlicht wurde. Wir werden als RL in späteren Ausgaben einiges aus diesem und anderen Beiträgen diskutieren.
An dieser Stelle wollen wir noch einmal die Chance nutzen und auf den zukünftigen Charakter der „radikal“ eingehen. Dies hatten wir in der Nummer 161 nur angeschnitten.
„radikal“ – projektbezogen und Strömungsausdruck
Die „radikal“ ist eine Publikation, die im Namen eines Projektes erscheint und zugleich als publizistisches Sprachrohr einer Strömung funktionieren soll. Das heißt, wir verstehen die „radi“ als Möglichkeit unsere Positionen und Ansätze unter die Leute zu bringen, den Organisierungsansatz „Revolutionäre Linke“ (RL) und einen komplexen revolutionären Aufbauprozess zu stärken. Wir schrieben dazu in der letzten Nummer 161: „Wir wollen uns mit den neuen Ausgaben von der ‘Schwarzen Reihe’ vor allem dadurch unterscheiden, dass die Radikal mehr als bisher einer politischen Linie folgen und aktiv eigene Ansätze entwickeln soll, also mehr als ein ‘bloßes’ Zur- Verfügung- Stellen eines unzensierten Diskussionsraumes.“ Damit wollen wir die Leistungen der Redaktion der „radi“-Ausgaben 157- 160 gar nicht schmälern, weil wir nur zu gut wissen, welchen Wert dieser unzensierte publizistische Raum hat.
Dass die verschiedenen „radikal“-Kollektive im Laufe der langen Geschichte dieses Projektes diesem auch ihren ganz eigenen Stempel aufgedrückt haben, ist nicht neu. Dies kann auch gar nicht anders sein, wenn eine Zeitung auch eigene Beiträge publiziert. Die „radikal“ war in der Vergangenheit für viele und sehr lange eine politische Orientierung.
Was an unserem Anlauf neu ist, dass eine vorher existierende Struktur, ein konkreter Organisierungsansatz – die RL – das Projekt verwirklicht. Vielleicht ist nicht einmal das wirklich neu, sondern dass wir als informelle Struktur mit Namen nach außen treten. als RL begreifen uns einerseits als ein organisatorisches Strukturfeld eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses, andererseits dokumentieren wir mit dieser Bezeichnung eine strömungspolitische Richtungsentscheidung in unserem politischen Spektrum. Projekt und Strömung sind die beiden von uns zu verbindenden Elemente der Organisierung als RL. Das aus unseren Zusammenhängen angestoßene RL-Projekt bewegt sich innerhalb der von uns definierten Strömung der antagonistischen Linken. Wir repräsentieren einen spezifischen gruppenübergreifenden Zusammenhang und nicht die Strömung in ihrer (durchaus heterogenen) Gesamtheit. Dementsprechend brauchen wir die offene Debatte mit möglichst weiten Teilen der revolutionären bzw. radikalen Linken.
Und da sind wir auch schon bei der zweiten Charaktereigenschaft der „radikal“, dass sie unbedingt ein Strömungsausdruck sein muss, will sie eine optimale Wirkung entfalten. Nur über einen kontinuierlichen Diskussions- und Annäherungsprozeß der revolutionären und radikalen Kräfte kommen wir zu einem Organisierungsprozess, der den Horizont einer Befreiungsperspektive eröffnet. Das war es auch, was wir meinten, als wir in der „radi“ 161 sagten, dass die „radikal“ im besten Falle der kollektive Organisator und Agitator einer revolutionären Linken wird.
Wie ihr seht, ist unser Anspruch an dieses Projekt sehr hoch. Ob wir dem auch nur ansatzweise gerecht werden bleibt abzuwarten und ist von unserem Engagement, aber vor allem von eurem Interesse und eurer Mitarbeit abhängig. Wir werden versuchen, das Erscheinen der „radikal“ in der kommenden Zeit abzusichern und in regelmäßigen Abständen Ausgaben an den Start zu bringen. Nach einigen Nummern werden wir gemeinsam mit euch eine Zwischenbilanz ziehen und einen Ausblick wagen, wie wir uns die Zukunft dieses klandestinen Blatts vorstellen können.
Doch kommen wir an dieser Stelle endlich zur aktuellen Ausgabe.
Zu dieser Ausgabe und zum Schwerpunkt der kommenden Nummer 163
Diese Ausgabe ist u.a. durch eigene RL-Beiträge geprägt. Beglückt wurden wir mit einem Text von GenossInnen der ex-(mg), der sich zum einen mit den Reaktionen auf das schriftliche Interview in der „radikal“ 161 und zum anderen mit der aktuell weit verbreiteten Praxis der „Wagensportliga“ auseinandersetzt. In dieser Ausgabe werden wir uns mit der sog. naxalitischen Bewegung bzw. Kommunistischen Partei Indiens (Maoistisch) befassen. Deren militärische Aktivitäten nehmen auch großen Raum bei den Nachrichten ein. Des Weiteren enthält diese Nummer den ersten Beitrag zu revolutionären Bewegungen in Brasilien. Fortgesetzt wird zudem die Serie „Für ein revolutionäres Leben“. Darüber hinaus dokumentieren wir eine Erklärung der Revolutionären Aktionszellen (RAZ) zu einem Gaskartuschenanschlag auf ein Gebäude der Agentur für Arbeit in Berlin. Passend dazu haben uns die GenossInnen die entsprechende Anleitung überlassen.
Wie versprochen, findet ihr in dieser Ausgabe neben einem Überblick über militante Aktivitäten hier im deutschsprachigen Raum, einen kleinen Einblick in die weltweiten Kämpfe der revolutionären Linken. Wir haben diese Rubrik, die eine dauerhafte in dieser Zeitung sein soll, „international classwar“ getauft. Ergänzend dazu werden wir (und vielleicht auch ihr!) in jeder Ausgabe eine revolutionäre Organisation bzw. Bewegung vorstellen, die in der internationalen Nachrichten-Rubrik (regelmäßig) vorkommt. Vielen (und uns) sind diese nur oberflächlich ein Begriff und eine Auseinandersetzung mit ihnen lohnt sich im jedem Falle.
In der nächsten Ausgabe soll es um die Bewegung des „aufständischen Anarchismus“ gehen, die besonders im südlichen Europa stark war/ ist. Leider haben wir für die internationalen Nachrichten diesbezüglich wenig gefunden. Für Tipps und Übersetzungen (z.B. aus dem Griechischen) wären wir sehr dankbar. Gleiches gilt natürlich für die gesamte Rubrik „international classwar“, umso größer eure Beteiligung, umso umfassender der Nachrichtenüberblick.
Des Weiteren werden wir in Zukunft auch wieder mit Schwerpunkten in der „radikal“ arbeiten. In jeder Ausgabe soll der Schwerpunkt für die nächste Nummer bekannt gegeben werden. Wir hoffen dann natürlich auch diesbezüglich auf möglichst viele Beiträge und Impulse von euch. Als erstes Schwerpunktthema für die „radikal“ 163 schlagen wir „Stadtteilkampf“ vor. Wie kann und muss eine effektive, revolutionäre Stadtteilpolitik aussehen? Wie können wir die Umstrukturierung unserer Kieze und die damit verbundenen sozialen Verdrängungsprozesse nicht nur aufhalten, sondern auch umdrehen, Mieten auch mal wieder drücken? Und vor allem, wie können wir den Kampf um die Verbesserung unserer Lebensbedingungen mit einer revolutionären Perspektive verbinden. Mit dieser Thematik knüpfen wir zum einen direkt an den Beitrag der GenossInnen der ex- (mg)in dieser Ausgabe an. Zum zweiten drängen uns die aktuellen Vorkommnisse in diesem Bereich eine Auseinandersetzung mit der Thematik förmlich auf. Umstrukturierung und Verdrängung, Mietwucher und (Zwangs-)Räumungen auf der einen Seite, immer wieder Versuche von (Neu-)Besetzungen und einen für heutige Verhältnisse doch recht breiter Widerstand auf der anderen Seite. Auf eine gemeinsame Auseinandersetzung über dieses Schwerpunktthema in der „radikal“ 163 sind wir sehr gespannt. Einsendeschluss für die nächste Ausgabe ist Ende April.
An dieser Stelle beenden wir unsere einleitenden Worte und wünschen euch viel Spaß mit dieser Ausgabe.
Stärkt die proletarisch- revolutionäre Seite im internationalen Klassenkrieg! Organisiert die Klassenautonomie! Für den revolutionären Aufbauprozess! Für den Kommunismus!
eure radicien von der RL, Januar 2010