Kommunique der Revolutionaeren Aktionszellen (RAZ)
Nach unserem ersten militanten Auftritt in der Nacht zum 30. Dezember 2009, d.h. nach dem Zünden eines Brandsatzes und eines kombinierten Brand-/Sprengsatzes der Marke “Gasaki” vor Zugangsbereichen eines Gebäudes der Agentur für Arbeit in Berlin-Wedding legen wir nach. Mit diesem Schreiben übernehmen wir die Verantwortung für eine weitere militante Aktion. In unser Fadenkreuz ist die regionale Zentrale der BRD-Kapitalverbände geraten: In der Nacht zum 4. Februar 2010 haben wir einen zeitverzögerten kombinierten Brand-/Sprengsatz nach der Anleitung des “Gasaki”-Modells an einer Lüftungsanlage am Haus der Wirtschaft in der Schlüterstrasse in Berlin-Charlottenburg abgelegt.
Diese Aktion betrachten wir als einen Ausdruck der Stärkung der militanten Seite des sozial-revolutionären Widerstandes gegen den von Staat und Kapital vorangetriebenen Klassenkampf von oben.
Staat und Kapital in Angriffslaune gegen unsere Klasse
Der Klassenkampf von oben zeigt sich hochgradig agil. Seit den vergangenen Wochen kommen immer mehr “Konzepte” aus den Schubläden der Ministerialbürokratie für “Arbeit und Soziales” sowie der Verbände des organisierten Kapitalverbrechens, die nur eines signalisieren: Angriff auf unsere Existenzbedingungen als sozial Deklassierte auf ganzer Linie.
Tag für Tag werden neue Details der “Reform der Hartz-Reformen” bekannt, die an Angehörigen unserer Klasse ausprobiert werden sollen. Wir sind ein weiteres mal zum Experimentierfeld derer erklärt worden, die letztlich uns als Grund der ökonomischen Strukturkrise auszumachen versuchen: Das “Prekariat”, so eine beliebte Wortneuschöpfung, kostet einfach zu viel, ohne eine tatsächliche Gegenleistung abzugeben; “Menschenmaterial” liegt faul und angesoffen auf dem Sofa vor der Flimmerkiste herum, ohne dass die Arbeitskraft zu verwerten wäre.
Das soll sich nun (ein weiteres mal) grundlegend ändern: faktische Zwangsarbeit steht auf dem Programm. Hessens Ministerpräsident Koch schwingt sich in bekannter Manier zum Vorreiter auf. Allerdings ist die Tendenz zur zwangsweisen Annahme von schlecht bis gar nicht entlohnter Arbeit bereits seit Jahren Alltagsrealität von jenen, die auf der sozialen Skala ganz weit unten stehen. Eine Palette von Sanktionen steht bereit, wenn BezieherInnen von “Transferleistungen” gegen behördliche Schikanen oder administrative Maßnahmen (zaghaft) Widerspruch anmelden. Neu ist, dass weiter an der Eskalationsschraube gedreht werden soll, soweit, bis förmlich die Luft zum Atmen abgeschnürt ist. “Abschreckung” heißt das Zauberwort. Den an den Rand und ins gesellschaftliche Aus Gedrängten soll es mit noch höheren Eingangshürden verbaut werden, überhaupt in den “Genuss” von “Hartz IV.” zu kommen.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zieht mit ihrem Gesetzesentwurf zur Neuregelung von “Hartz IV.” nach. Danach sollen Leistungskürzungen bereits vollzogen werden, wenn ALG II.-BezieherInnen die “Anbahnung” von Jobangeboten “durch ihr Verhalten behindern”. Außerdem sollen die sog. Eingliederungsvereinbarungen rigider gehandhabt werden. Das ALG II. soll demzufolge auch gekürzt werden können, wenn eine “zumutbare Maßnahme” nicht angetreten wird. Bisher waren Sanktionen “nur” nach einem Abbruch der Zwangsmaßnahme möglich.
Die Wichtigkeit der Umsetzung dieser Pläne wird medial rauf und runter gebetet. Wir sind unmittelbare ZeugInnen, wie darüber eine Akzeptanz selbst bei jenen hervorgerufen werden soll, die Objekt dieses sozial-technokratischen Angriffs sind. Nach üblichem Muster wird die periodische kapitalistische Krise auf das individuelle Versagen Einzelner zurückgeführt. Hin und wieder muss ein abgewrackter Manager als Bauernopfer herhalten; in der Regel werden aber die “unnützen EsserInnen” als Krisenverursacher betrachtet, die die Zeche zahlen, wenn die krisenbedingten Folgekosten auf eben jene “sozialisiert”, d.h. abgewälzt werden.
Wir stehen einem Institutionengeflecht gegenüber, das uns unsere Lebensinteressen streitig macht bzw. versagen will. Am Kabinettstisch von Merkel wird ressortübergreifend darüber beraten, wie sich die Programme des “Umbaus des Sozialstaates” am besten verwaltungstechnisch umsetzen lassen. Arbeitsagenturen, Jobcenter und nicht zuletzt die Sozialgerichte sollen dabei wie Zahnräder ineinander greifen. Die Rolle der Industrie- und “Arbeitgeber”verbände der BRD ist zentral; mit ihren Lobbygruppen und Seilschaften auf Parlamentsebene agieren sie offensiv klassenkämpferisch. Ihre unentwegte PR-Arbeit zeigt Wirkung; sie sind nicht nur Stichwortgeber, sondern aufgrund ihrer personellen Verquickung mit parlamentarischen Gremien und der Regierungsbank direkte Akteure des Klassenkampfes von oben.
Als Fazit bleibt: Sozialstaatliche Abfederungen und die Suche nach sozialen Befriedungsstrategien spielen in den Verhandlungsrunden von VertreterInnen von Staat und Kapital kaum mehr eine Rolle; es wird der generelle Angriff nicht nur auf dem Papier skizziert, sondern praktisch eingeleitet. Die kapitalistische Barbarei nimmt selbst in den Zentren der westlichen Welt offene Züge und konkrete Gestalt an.
Klassenkampf und sozial-revolutionären Widerstand entfalten!
Während die Gegenseite von Staat und Kapital einen Sturmlauf gegen unsere Existenzbedingungen als Klasse fährt, haben wir bislang nur unzureichende Reaktionen entwickelt. Die vorherrschenden Tendenzen sind eine relative Inaktivität und sogar vereinzeltes Desinteresse, sich (kollektiv) den sozial-technokratischen Angriffen entgegenzustellen.
Es ist wahr, die proletarisierten Massen handeln nicht auf der Höhe der Zeit. Da hilft allerdings kein Anstimmen eines Klageliedes, sondern die Suche nach einer Erklärung. Um aus dem Schattendasein herauszutreten, sind mehrere Vorbedingungen erforderlich: Die politische Passivität kann allein deshalb nicht so ohne weiteres abgestreift werden, da wir es als Angehörige unserer Klasse eingetrichtert bekommen haben, uns und unsere Interessen “vertreten” zu lassen. Unser “Vertreten-Sein” in den parlamentarischen Schwatzbuden und die über die Gewerkschaftsspitze organisierte Sozialpartnerschaft mit dem Kapital sind wesentlich dafür, dass wir meist ohne rechten Antrieb sind. Das selbstorganisierte Engagement kommt zudem sehr schnell in den moralischen Verdacht, gegen den “freiheitlichen Rechtsstaat” zu handeln. Wer sich den Vorschriften und Vorgaben unterwirft, wird notwendigerweise in einer beständigen Abhängigkeit verharren müssen. Diese über Generationen eingeübten Abhängigkeitsverhältnisse lassen sich nicht im Handumdrehen aufbrechen. Hierfür braucht es Anlauf um Anlauf, um Vertrauen in die eigenen Kräfte zu gewinnen, um über den Eintritt in die Konfrontation Klasse gegen Klasse zu erfahren, dass die Ketten sprengbar sind.
Dass die (Selbst-)Behauptung nur auf der Grundlage der Eigeninitiative und Selbstverwaltung gelingen kann, tritt erst im Verlauf eines mit Rückschlägen versehenen Lern- und Entwicklungsprozesses immer klarer vor Augen. Selbstemanzipation und Klassenautonomie lassen sich nicht einfach am Reißbrett theoretisch projektieren, um am Tag darauf eine greifbare politische Alternative darzustellen.
Unsere Richtschnur als Militante der Klassenautonomie ist jedoch klar: Der sozial-revolutionäre Kampf, das jahrhundertealte Streben nach einer Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, besteht zuallererst und vor allem in einer unablässigen Ablehnung der Erniedrigung. Die Auswirkungen der “Reform der Hartz-Reform” werden sich nicht sofort, sondern mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung einstellen; sie werden aber mit brachialer (struktureller) Gewalt auf uns einwirken, uns treffen. Entweder schlägt die permanente Erniedrigung in Versuche von Befreiungsakten um, oder sie führt zu einer tiefen Demoralisierung, aus der schwer herauszukommen sein wird. Wir stehen an diesem Punkt tatsächlich vor einem Entweder-Oder.
Wir sind als militanter Sektor der klassenautonomen und proletarischen Linken längst nicht mehr bereit, still und leise zuzusehen, wie uns Stück für Stück der Boden entzogen wird. Wir machen uns nicht zum Komplizen jener sozial-technokratischen Programme, die an uns durchgespielt werden. Es ist u.a. unsere Aufgabe, innerhalb der sich entfaltenden Proteste gegen die Zerschlagung des Restes des “Sozialstaates” die Option der militanten Seite eines künftigen sozial-revolutionären Widerstands stark zu machen.
Oft fehlt es in einer objektiv reifen Situation der Revolte und Rebellion an den subjektiven Faktoren, d.h. es mangelt an einer erwartungs- und hoffnungsvollen Stimmungslage in den proletarisierten Massen, dass eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse nicht nur notwendig, sondern möglich ist; und an gut strukturierten Keimzellen einer revolutionären Organisation, die in der Lage ist, Signale eines sozial-revolutionären Aufstands zu setzen. Die sozio-ökonomischen Bedingungen für “soziale Unruhen” sind selbst in der BRD gegeben. Es braucht jetzt zündender Initiativen, um einen Flächenbrand auslösen zu können. Die Regime, die die kapitalistische Warenwelt schützen, lassen sich erschüttern, wenn wir uns bewegen. Richtig: Protest bleibt mit schlechter Regelmäßigkeit in den Anfängen stecken, ebbt ab, bis er vollends zum Erliegen kommt. Das allein ist aber in erster Linie ein Hinweis darauf, dass sich die objektiven und subjektiven Faktoren noch nicht soweit herausgebildet haben, dass sich der Protest über widerständige Episoden zu einem allgemeinen Aufstand verlängern kann.
Die Befreiungsperspektive des (weltweiten) Kommunismus muss Etappe für Etappe erkämpft werden, und wenn wir ganz genau hinschauen, funkelt sie bereits am Horizont…
Revolutionäre Aktionszellen (RAZ)
– Zelle Mara Cagol –
Februar 2010
Diese militante Aktion widmen wir der Genossin Mara Cagol, die als Mitbegründerin der Roten Brigaden (BR) am 5. Juni 1975 von Einheiten der Carabinieri erschossen wurde.