In der Textesammlung “Prisma”, die seit einigen Wochen in linksradikalen Kreisen zirkuliert, wird u.a. das Equipment organisierter Militanz in Form von (Bau-)Anleitungen dokumentiert, das in der Mehrzahl bereits zu früheren Zeitpunkten bspw. in der radikal abgedruckt wurde. Vom Plakatieren, Sprühen, über den Glasbruch und die Hakenkralle bis zu Brandsatz-Modellen ist alles in diesem Heft gebündelt. Dadurch erhält der Reader mit dem mathematischen Titel seine praktische Bedeutung.
Das hat auch den repressiven Staatsapparat auf den Plan gerufen, so dass von den ausgeschwärmten Behörden-Schergen mit der staatsanwaltlichen Verfügung in der Hand linke Buchläden und Zentren abgegrast wurden, um die “Prisma” einzuziehen. So erging es zuvor dem Berliner Szene-Blatt Interim und der radikal aufgrund von veröffentlichten Anleitungen bspw. des “Gasaki”-Modells. Nicht vorrangig deswegen, sondern vor allem, um die Initiative der “Prisma”-HerausgeberInnen moralisch zu unterstützen, wollen wir als Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) ein Signal der Solidarität in die Richtung der “MathematikerInnen” senden.
Diesen Text begreifen wir neben unserem Beitrag “Mittel und Zweck in militanter Politik – ein Nachtrag zum “Gasaki”-Modell” als unseren zweiten, den wir in einen direkten Zusammenhang zur Militanzdebatte stellen wollen. Wir werden in diesem Text, um widerstreitende Positionen authentisch darzustellen, einige etwas längere Passagen aus anderen Papieren zitieren. Wir hoffen sehr, dass das nicht zu latenten bis offen ausbrechenden Ermüdungserscheinungen führt…
Label-Diskussion in der Militanzdebatte
Neben einem einleitenden Beitrag der “Prisma” zu Zielen und Beweggründen militanter Politik, der wie es im Vorwort heißt “ansatzweise Bemerkungen zur Militanzdebatte” enthält, findet sich auch ein Beitrag unter dem Titel “Tipps zum Verfassen und Versenden von Schreiben”, womit Anschlagserklärungen bzw. Tatbekennungen gemeint sind. Dort werden Hinweise für die Erstellung und Verbreitung von Bekennerschreiben zu (militanten) Aktionen aufgelistet, die hilfreich sein dürften, wenn sich ein personeller Zusammenschluss zu einer politisch vermittelten klandestinen Aktivität entschlossen haben sollte.
Diesen Text haben wir uns näher angeschaut, da er zum Ende das Für & Wider eines festen Gruppennamens auflistet, eine Auflistung, die aus der zurückliegenden Militanzdebatte abgeleitet wurde, aber unserer Meinung nach eine latent falsche “Schlagseite” aufweist. Hier wollen wir helfen, beide Seiten auszutarieren. An mehreren Punkten lässt sich dies unter zur Hilfenahme des Debattenmaterials gut diskutieren.
Ist die Unterzeichnung einer militanten Aktion, d.h. die Namensgebung eines agierenden klandestinen Zusammenhangs eine Nebensächlichkeit oder lassen sich hier sehr wohl unterschiedliche Vorstellungen militanter Politik im Wortsinne ablesen? In der “Prisma” ist eine schematische Zweiteilung von pro-Punkten und contra-Punkten bezüglich einer kontinuierlichen Namensgebung gegenübergestellt worden. Da heißt es:
“In den letzten Jahren gab es u.a. in der Militanzdebatte Argumente pro und contra einer kontinuierlichen Namensgebung bei Erklärungen. Es gibt demnach vier Konzepte: Kontinuität des Namens; immer andere (fantasievolle) Namen; kein Gruppenname, sondern Forderungen und Parolen oder ein allgemein gehaltener Name, unter dem sich diverse Gruppen, manchmal mit eigenen Zusätzen, erklären können (z.B. RZ und Autonome Gruppen).
Für einen kontinuierlichen Namen spricht:
– erhöhte mediale Aufmerksamkeit
– eine Auseinandersetzung mit der Politik der Gruppe wird ermöglicht, weil mehrere Texte vorliegenden
– auch nicht-aktionsgebundene Texte erfahren Aufmerksamkeit in der Szene.
Dagegen spricht:
– erhöhte Repressionsgefahr (euch kann alles, was unter Verwendung dieses Namens getan wird, angehängt werden)
– andere Aktionsgruppen werden weniger wichtig genommen
– es gibt mehr Rasterpunkte für euer Gruppenprofil
– durch die überhöhte Bedeutung kann es zu einem “Wegdelegieren” an diese Gruppe kommen oder ein sich Ausruhen, da ‘die ja schon was tun’”.
Auch wenn die AutorInnen dieses Textes durchaus erkennbar Diskussionselemente aus der Militanzdebatte aufgenommen haben, so sind diese vor dem Hintergrund der zum Teil sehr differenzierten Auseinandersetzung um diese Fragestellung zu verkürzt dargestellt, so dass viel zu wenig an den Diskussionsstand, der erst vor einigen Augenblicken erarbeitet worden ist, angeknüpft wird. Um dies zu veranschaulichen, wollen wir eine Passage aus dem schriftlichen Interview mit der militanten gruppe (mg) aus der radikal Nummer 158 zitieren. Im Anschluss schneiden wir kurz den inhaltlichen Zusammenhang und praktischen Erfahrungsbereich an, der die (mg) zum damaligen Zeitpunkt einen festen Gruppennamen annehmen ließ. Zuvor führen wir einige Absätze aus einem Text der Autonomen Gruppen an, der 2002 (siehe Interim 549) u.a. als Reaktion auf die (mg) verfasst wurde. Wir denken, dass dies eine recht übersichtliche “Collage” des Diskussionsstandes während der Militanzdebatte hinsichtlich der Frage nach dem “Markennamen” liefert.
Für die Einordnung des Autonome Gruppen-Papiers, aus dem wir gleich einige Passagen zitieren wollen, ist wichtig zu wissen, dass es sich in die Anfänge der Militanzdebatte einklinkt, die von der autonomen miliz, der revolutionären aktion carlo giuliani und eben der (mg) angestoßen wurde. Neben der gruppenspezifischen Namensgebung wird auch die Frage nach einer gruppenübergreifenden Bezeichnung (Stichwort “militante Plattform”) angerissen. Hierzu wird angemerkt: “Durch alle Papiere zieht sich die Frage nach einer Kontinuität nicht nur der Aktionen, sondern auch des die Erklärung unterschreibenden Zusammenhangs. Die aufgeworfenen Fragen sind aber unserer Meinung bisher nur zum Teil benannt. Alle militanten Gruppen mit Ausnahme der RAF hatten die Vorstellung der Vermassung ihrer Aktionsformen. Wir befürchten, dass mit zunehmender Vereinheitlichung der Unterschriften die Konsumierbarkeit und Distanz zu solchen Aktionen zunehmen könnte. Bei einigen könnte das Gefühl entstehen, dass mensch ein ungeheurer Spezialist sein muss, um so etwas praktisch umsetzen zu können, bei anderen die Vorstellung, warum denn selbst aktiv werden, dafür gibt es doch die Organisation xy, welche das schon machen wird. Die Gefahr ist jedenfalls groß, dass die eigene Hemmschwelle nicht überwunden wird. Wir sind auch der Meinung, dass mit der gewünschten erkennbaren Kontinuität die Gefahr einer leichteren Identifizierung durch die Ermittlungsbehörden steigt. Des weiteren sind wir skeptisch, ob unsere Zusammenhänge auf Dauer diesem Druck gewachsen wären.
Diesen Zwiespalt überbrücken seit Jahren viele, indem sie sich Autonome Gruppen nennen. Dieser Idee könnten sich im Grunde noch viel mehr militante Linksradikale anschließen, denn es gibt weder eine Hierarchie der Mittel, noch der verschiedenen Niveaus. Ein Copyright schon gar nicht: Alle sind Autonome Gruppen! Ein unmittelbares Kennen der anderen ist zum Gebrauch des gleichen Namens nicht notwendig. Je mehr Zusammenhänge diesen Namen benutzen, um so größer auch der Schutz für die anderen. Die Idee Autonome Gruppen heisst auch nicht, dass lediglich Anschlagserklärungen so unterzeichnet werden können. Auch Diskussionspapiere, Demoaufrufe und vielerlei Initiativen mehr sind Teil davon. Dies ist die logische Folge des Prinzips der Hierarchielosigkeit der Aktionsformen, auch wenn wir das nicht durchgängig so sehen. Aber nach wie vor gilt, dass militante Interventionen nur ein Mittel linksradikaler Politikformen unter vielen sind. Dieses Mittel muss auch immer wieder genau diskutiert und eingesetzt werden, wobei diese Genauigkeit sich auch auf den Einsatz des konkreten Mittels bezieht. Manchmal können kaputte Fensterscheiben politisch mehr bewirken als ein Sprengsatz.
Autonome Gruppen sehen wir allerdings auch nicht als ein völlig beliebiges Sammelbecken politischer Aktionen. Das Prinzip der Offenheit allein ist ja noch keine politische Bestimmung. Wir sehen in der Praxis und den Erklärungen Autonomer Gruppen schon ein gewisses politisches Profil und Verständnis, das sich mit den Jahren entwickelt hat (und sich auch weiterentwickeln muß), was auch in der Öffentlichkeit sichtbar geworden ist.
Wir glauben und hoffen nicht, dass es durch die Verwendung von “Markennamen” ein erhöhtes Interesse für unsere Erklärungen gibt. Denn wenn das so wäre, würde es zwar viel über diejenigen sagen, die dieses erhöhte Interesse hätten, aber nichts über die Qualität des Inhaltes. Es wäre lediglich Ausdruck einer Autoritätsfixiertheit, wonach Papiere von xy eben gelesen und diskutieren werden müssen. Wir glauben schlichtweg, dass viele Erklärungen (auch die unsrigen) aus gutem Grund kaum wahrgenommen und diskutiert werden, weil wir oft wenig und kaum Neues zu sagen haben. Es wäre fatal, wenn dieses Wenige aufgrund eines Markennamens erhöht werden würde. Militante Gruppen haben keinen Anspruch, inhaltlich ernster genommen zu werden, als alle anderen. Wenn ein Papier inhaltlich schlecht oder nichts sagend ist, wird es nicht aufgrund einer damit verbundenen Aktion auf einmal gut.
Allerdings sollte die Aktion im Wesentlichen sowieso für sich selbst sprechen. Auch über neue Wege der Vermittlung wäre weiter nachzudenken”.
In diesem Auszug der Autonomen Gruppen werden die Punkte aufgeführt, die von den “Prisma”-MacherInnen faktisch ein-zu-eins in die Contra-Liste aufgenommen wurden: Repressionsgefahr, Rasterbildung, Autoritätsfixiertheit, Wegdelegierung. Wenn man so will, ist diese Contra-Sammlung eine bloße Übernahme der Autonome Gruppen-Positionierung.
Und nun zum Kontrastprogramm: Auf die Frage nach der berühmt-berüchtigten Namenskontinuität antworteten die GenossInnen der (mg) im Jahre 2005 im schriftlichen radikal-Interview wie folgt: “Es ist in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Entscheidung, ob sich ein klandestiner Zusammenhang einen festen Gruppennamen zulegt oder nicht. Gegen eine kontinuierliche Namensgebung spricht für verschiedene GenossInnen, daß sich damit zum einen der Repressionsdruck erhöht und zum anderen macht man darin die Gefahr einer Autoritätsfixiertheit oder auch Hierarchisierung innerhalb der “Szene” aus, wenn man sich selbst einen “Prominentenstatus” durch ein Label verschafft.
Des weiteren greifen eher lose strukturierte Polit-Zusammenhänge auf wechselnde Unterschriften unter Anschlagserklärungen zurück, die oft personell fluktuieren und nicht unbedingt thematisch festgelegt sind, sondern mehr anlaßbezogen auf militante Praxen zurückgreifen. Andere verzichten ganz auf irgendwelche Namensgebungen und legen nur ihren Inhalt, den sie mit der jeweiligen Aktion verbinden, dar. Ganz auf Begründungen bei militanten Aktionen zu verzichten, weil sich der Inhalt aufgrund des angegriffenen Ziels von allein vermitteln würde, ist ebenso verschiedentlich zu beobachten.
Wir können alle diese Gründe, die zum sog. “autonomen ein mal eins” (ein hippes Thema aufgreifen, eine themenspezifische Aktion machen und zum nächsten Brennpunkt unreflektiert mit neuem Gruppennamen springen) führen, nachvollziehen; sie sind uns aus früheren Erfahrungen selbst nur allzu vertraut. Wir würden auch neu zusammengefundenen Zusammenhängen, die auch militant agieren wollen nicht empfehlen, sich bereits vor der ersten Aktion auf eine Namenskontinuität festzulegen. Dafür braucht es eine praktisch erprobte Festigkeit der Gruppe und kollektiv abgestimmte inhaltliche Absprachen. Hier spielt vor allem dann auch der zu erwartende erhöhte Fahndungsdruck eine Rolle, der kommen wird, sobald sich nicht nur das zuständige LKA für eine bestimmte Gruppe interessiert, sondern die Kollegen des BKA auf den Plan treten.
Dennoch haben wir uns, wie Ihr in Eurer Eingangsfrage festgestellt habt, für eine Namenskontinuität entschieden. Warum? Nun, das hängt ganz wesentlich mit unserem Versuch zusammen, einen Debattenprozeß zu befördern, der auf den inhaltlichen. praktischen, logistischen und organisatorischen Feldern revolutionärer Politik aufeinander aufbauen soll. Unseres Erachtens müssen wir, wenn wir an einem Vernetzungsprojekt militanter Zusammenhänge konzentriert arbeiten wollen, eine Kontinuität herstellen, die sich u.a. in einer wiederkehrenden Namensgebung ausdrückt. Wir wollen uns damit erkennbar in einen bestimmten Kontext einer Organisierung stellen. Um sich erkennbar in einen Rahmen einer angestrebten strukturellen Verknüpfung zu begeben, müssen wir unsere Politik diskutierbar, kritisierbar und vor allem unterstützbar machen. Die feste Namensgebung resultierte also aus dieser Absicht.
Zu dieser festen Namensgebung gehört auch, daß man, wenn man den Kopf aus dem Fenster lehnt, schneller etwas auf denselben bekommt, sich viel eher als andere Zusammenhänge der Kritik zu stellen hat. Das sehen wir nicht als Problem, sondern als Regulativ an, falls sich praktische Ausdrucksformen oder politische Ziele mal verselbständigen sollten.
Ein anderer, allgemeinerer Beweggrund für einen festen Namen war für uns, daß wir eine schlechte Wechselwirkung zwischen einer namentlichen Diskontinuität und dem thematischen Hopping bei Aktionen feststellen konnten. Ständiges Wechseln der Aktionsnamen korrespondiert nicht selten mit dem unzusammenhängenden Aufgreifen vermeintlich oder tatsächlich “aktueller” Themen, die man meint, militant flankieren zu können. Daraus, zumindest nach unseren Erfahrungen, erwächst keine militante Praxis, die zu einer militanten Politik werden kann, die sich um eine gezielte Grundlagenschaffung und weiterführende konzeptionelle Entwürfe für ein revolutionäres Projekt kümmert. Es mag vielleicht irgendwann Ausnahmen von dieser “Regel” geben, nur wir kennen bisher keine.
Es ist nicht zu leugnen, daß Gruppen, die eine beständige militante Praxis betreiben und diese durch ein Label untermauern, erfahrungsgemäß zügiger und intensiver ins Räderwerk der Repression geraten. Es hat sich aber u.a. im Prozeß gegen die drei Magdeburger Genossen gezeigt, daß die BundesanwaItschaft (BAW) den Versuch unternommen hat (und diesen in der Prozessneuauflage gegen Daniel aller Voraussicht nach fortsetzen will), verschiedene militante Aktionen in Magdeburg, die in den Erklärungen unterschiedlich unterzeichnet waren, einem Personenkreis zuzuordnen. Es gibt keine Garantie, daß nicht ein übereifriger Bundesanwalt diverse, unterschiedlich unterzeichnete militante Aktionen einer “terroristischen Vereinigung” unterschieben will. Auch uns werden lt. Presseberichten Aktionen zugerechnet, die bis in die Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen. Da interessiert es auch nicht, daß wir erst seil 2001 existieren.
Wir wollen noch kurz etwas zur “Autoritätsfixiertheit” sagen, die mit einer Namenskontinuität oft in einem Atemzug beschworen wird. Für unseren Teil können wir feststellen, daß wir nicht im Sinn haben, der eigenen Komplexe wegen eine “Autorität” darstellen zu wollen. Wenn wir die Absicht haben, daß unsere verfassten und z.T. praktisch umgesetzten Ideen aufgegriffen werden, dann geschieht dies vor dem Hintergrund des eingebrachten politischen Projektes des Aufbaus einer militanten Plattform, von dem wir ausgehen, daß es ein wichtiger Baustein einer klandestinen Organisierung sein kann.
Wir haben bereits in früheren Texten erklärt, daß wir nicht des Prestiges wegen an unserem “mg-Label” hängen. Im Gegenteil, wir sehen diesen eher “technischen” Namenszug kritisch, da er vordergründig eine Praxisform und nicht eine ideologische Ausrichtung transportiert. Für den Plattformprozess dokumentiert dieser Gruppenname das zentrale Moment der Strukturierung militanter Zusammenhänge, mehr aber auch nicht. Wir werden nicht auf ewig unter diesem Label agieren, es wird Ausdruck einer (noch nicht abgeschlossenen) Phase sein”.
In diesem (mg)-Zitat lassen sich einige Aspekte herausziehen, die zum Teil in das “Prisma”-Schema der Pro-Punkte eingeflossen sind, zum Teil aber auch nicht. Darin sehen wir eine tendenziöse Wiedergabe der Diskussionsinhalte, die im Detail nicht dem Debattenstand entspricht. Und in Detailfragen militanter Politik kommt es insbesondere auf die Grau-, Zwischen- und Untertöne, also auf’s Kleingeschriebene an. Zum einen werden in den (mg)-Ausführungen die Contra-Punkte an der einen oder anderen Stelle doch erheblich relativiert, so dass sie ziemlich anfechtbar geworden sind. Zum anderen werden bedenkenswerte Aussagen für einen fixen Gruppennamen getroffen, die man nicht überspringen sollte, wenn man eine Gesamtschau der Argumente will.
Wir wollen jeweils ein Beispiel nennen, was uns da ins Auge gesprungen ist: Augenfällig dürfte nach den (mg)-Schilderungen sein, dass ein wechselnder Gruppenname oder ein “Container”-Logo (wie “Autonome Gruppen”) keine Garantie liefert, dass von seiten des Repressionsapparates nicht Aktivitäten verschiedener Gruppen oder Teilgruppen zu einem Verfahren zusammengezogen werden. Es wäre fahrlässig, das aus dem Blick zu entfernen, wenn man sich die Labelfrage unter konkreten und realen “Kampfbedingungen” stellt. Augenfällig ist des weiteren, dass mit einer kontinuierlichen Namensgebung kein bloßer blasser Wiedererkennungseffekt (Grad der Beachtung) erzeugt werden soll, sondern dass dies ein Element des Konzepts militante Politik ist, welches sich von einer punktuellen, temporären, kontextlosen militanten Praxis bewusst unterscheiden will.
Zudem fällt auf, dass die GenossInnen der ehemals existierenden (mg) offensichtlich beide Hauptvarianten, die “no name”- und die “Markennamen”-Variante kennen. Somit wissen sie, wovon sie reden. Das dürfte immer von Vorteil sein, wenn sich im Zuge der eigenen überprüften Politik ein wie auch immer unternommener “Wechselschritt” vollzogen hat.
Nachdem wir uns das Pro&Contra vorgebracht haben, sind wir als RAZ an der Reihe, uns zu (er-)klären.
RAZ-Signet und militante Politik
Im Grunde haben wir zwei Gruppenpositionen (Autonomen Gruppen und (mg)) und eine Auslegung (“Prisma”) vorliegen, die wir für uns als RAZ sortieren müssen, damit – darauf gestützt – ein eigener Standpunkt in dieser Frage herauskommen kann.
Uns scheint es zu formalistisch, wenn in dem “Prisma”-Artikel die Alternativen der Namensfindung nach Spiegelstrichen aufgeführt und quasi zur Auswahl gestellt werden. Hier wird uns zu sehr ein Markt der Möglichkeit angeboten, ohne die aufgezählten Varianten jeweils anhand realer Beispiele zu diskutieren. In der “Prisma”-Auflistung werden “vier Konzepte” genannt, aber nur zwei “spricht dafür-/spricht dagegen”-Lösungen angeboten, auch wenn diese jeweils ausdifferenziert werden. Das reicht für einen Diskussionsanstoß, so wir ihn angenommen haben, zu viel mehr aber auch nicht.
Uns ist hier nicht der Raum gegeben, dass wir alle “vier Konzepte” durchdeklinieren. Deshalb konzentrieren wir uns in den folgenden Zeilen in erster Linie auf Gruppenbezeichnungen, die wiederkehrend sind und ein Stück Weltanschauung ausdrücken sollen. Mit seinem “guten Namen” die “politische Werbetrommel” zu rühren, ist für uns kein Mittel, um billige mediale Reflexe herauszufordern oder sich spektakulär in Szene zu setzen. Das wäre als “Programm” wahrlich zu dünn. Da geben wir uns “seriöser”. D.h. aber nicht, auf ein taktisches Verhältnis zur Presse und ihren VertreterInnen zu verzichten. In gesonderten Fällen sind zu erwartende Reaktionsmuster aus den Medienanstalten und dem Blätterwald ins Kalkül zu ziehen, wenn damit ein “Vermittlungsvorgang” beschleunigt werden soll. Z.B. haben wir mit Bedacht bei unserer militanten Aktion gegen das Haus der Wirtschaft in Berlin am “Tatort” neben unserem Schriftzug eine Ausgabe der aktuellen radikal hinterlassen. Wir fanden, dass in diesem unzensierten Medium eine Menge vernünftiger Texte zum Abdruck gelangt sind; ja, und die weite Welt sollte davon natürlich schnellstmöglich Kenntnis bekommen, erstens, weil Unkenntnis immer unvorteilhaft ist, und zweitens, weil wir uns nicht zutrauten, eine Prognose anzustellen, wie lange denn diese Publikation im Warenangebot der gutsortierten Buchläden bleiben würde. Und schließlich sind beliebte Artikel unter der Theke immer rar und zügig vergriffen.
Damit wollen wir eigentlich lediglich die Behauptung aufstellen, dass eine mediale Effekthascherei eher bei einer mehr oder weniger konzeptlosen Brandsatzlegerei, mitunter angeheizt durch eine Pressewelle anzutreffen ist, durch die die AkteurInnen z.T. getragen und zum Weitermachen animiert werden.
Aber zurück zum (Marken-)Namen: Zunächst würden wir in der Teildiskussion im Rahmen der Militanzdebatte, in der es um die Namensfindung für einen militant agierenden klandestinen Gruppenzusammenhang geht, einwerfen, dass das Signet oder Label die formale Abrundung des spezifischen Verständnisses der praktizierten militanten Politik ist. Die “Formgebung” des Inhalts erhält einen Namen. Im Gruppennamen sollte sich demnach, da er keinesfalls nur Schall&Rauch ist, die “Zentralperspektive” der eigenen Politik widerspiegeln. Da sind sicherlich Übergänge und Zwischenphasen denkbar und auch üblich, d.h., wir würden nicht behaupten wollen, dass die Namenswahl gleich alle Kriterien der zu vermittelnden Politik erfüllen kann. Gravierende inhaltliche Macken oder fatale praktische Irrläufer lassen sich auch nicht durch den besten Einfall hinsichtlich der Namensgebung überdecken.
Im Einzelfall müsste sehr genau beurteilt werden, ob durch einen “kreativeren”, vielleicht auch satirisch-ironisch angehauchten Namenszug einer Gruppe, der Transport von politischen Einstellungen und Absichten erleichtert wird. Oft wirken und klingen Gruppenbezeichnungen steif, spröde und technisch. Wir sind auch keine erklärten Fans davon, mit einer besonders martialisch anmutenden Unterschrift unter unseren Veröffentlichungen aufzutreten. Allerdings hebt sich eine “verspaßte” Namenssetzung, die originell daherkommen will, in einer kunterbunten Spaßgesellschaft auch nicht sonderlich ab, sondern fügt sich trendgerecht ein. Unser namentlicher Wahlvorgang hat ein eher nüchtern-gediegenes Ergebnis zutage gefördert. Ein Innovationswettbewerb werden wir mit unserem Namenskonservatismus nicht gewinnen, aber dafür haben wir ersichtlich darauf verzichtet, krampfhaft außergewöhnlich sein zu wollen.
Wenn der Gründungsanlass einer klandestin-militanten Gruppe ein herausragendes Ereignis war, so ist es naheliegend, dass dieses in der Namensgebung seinen Niederschlag findet. In unseren Breitengraden dürfte die Bewegung 2. Juni, die sich Anfang 1972 aus mehreren militant bzw. bewaffnet agierenden Gruppierungen zusammenschloss, das bekannteste Beispiel hierfür sein. Mit diesem im Namenszug integrierten Datum wurde der Mord an Benno Ohnesorg während der Anti-Schah-Demonstration am 2.6.1967 vor der Deutschen Oper in Berlin mit jeder neuen Aktivität der Bewegung 2. Juni publik. Mit der Setzung dieses Datums als Teil des Gruppennamens war Ursache und Wirkung ins richtige Lot gebracht: “Die Bullen haben zuerst geschossen!” Die Politik der Stadtguerilla war u.a. eine Folge des repressiven Klimas in der post-nazistischen BRD. Und für historisch Bewanderte verbindet sich mit dem 2.6. das (missglückte) Attentat auf Kaiser Wilhelm I. von 1878 – also die “Propaganda der Tat” in der Form des Tyrannenmordes.
Leiten wir konkret zu uns über: In unserer Gruppennennung “Revolutionäre Aktionszellen” fließen drei Elemente ineinander, die eine inhaltlich-praktisch-organisatorische Ausrichtung erkennen lassen sollen. Das ist in der Aufschlüsselung bestimmt “Element für Element” unzureichend, aber, wir wissen ja, die “gute Absicht” zählt. Wir geben gerne zu, dass die inhaltlich-theoretische Aussagekraft von “revolutionär” nicht besonders stark ist, wenn dieser Begriff in “radikalistischer Manier” völlig überstrapaziert und zur Worthülse wird. Dennoch haben wir als RAZ ein gesteigertes Interesse daran, dass wir unseren Part des Kampfes für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung übernehmen; der Präzision halber könnten wir auch “Für den Kommunismus” sagen, was wir hiermit ausdrücklich tun. (Wir lassen an dieser Stelle den eher philosophischen Diskurs beiseite, dass die Vorsilbe “re” bei “Revolution” verrät, dass es sich gesellschaftsgeschichtlich eher um einen “Rückfall” handelt – ist alles bei Hannah Arendt nachzublättern)
Ja, und da wir nicht mit einer reinen Studiengruppe oder einem akademisierten Zirkel verwechselt werden wollen, haben wir das aktivistische Moment bei unserem Namenszug absichtsvoll in die Mitte gesetzt. Praxis ist und bleibt der Prüfstein. Praktisch ausgedrückter Inhalt und inhaltlich unterfütterte Praxis brauchen eine organisatorische Basis. Das Zellenprinzip schafft diese. Der klandestinen Kerne sind über ein hier nicht weiter auszuführendes Verfahren miteinander “verzellt” – ein relativer Autonomiegrad ist dabei kalkuliert. Das nennen wir verbindliche und strukturierte Elastizität in der Organisierung. Das kann im Ausnahmefall bedeuten, dass sich eine RAZ-Zelle mehrfach zu Wort meldet. Damit wäre die Autonomie aber auch ausgereizt.
Ja, und alle diese Elemente machen in der Addition “Revolutionäre Aktionszellen”; und damit diese Wortkette nicht ständig im Munde gebildet bzw. erinnert werden muss, haben wir uns auf die leicht abzuleitende Abkürzung “RAZ” verständigt; die geht dafür auch umso leichter über die Lippen.
Wir fügen nach einigen besprochenen Varianten der Namensgebung eine leicht abgewandelte hinzu: Wenn wir bei klandestin-militanten Aktionen unseren fixen “Hauptnamen” um die Bezeichnung “Zelle xy” ergänzen, so ist dieser Zusatz ein Hinweis darauf, dass ein spezifischer Kern unseres Gruppenzusammenhangs die Verantwortung für die jeweilige Aktion übernimmt als auch einer, dass wir mit dieser Extra-Kennzeichnung einen Kontext zu GenossInnen aus in der Regel zurückliegenden revolutionären Kämpfen herstellen wollen. Damit soll ein Anlass gegeben werden, sich mit der Person und ihrem organisatorischen Hintergrund zu beschäftigen. Der Autonomiegrad der einzelnen Kerne des organisatorischen Verbundes RAZ drückt sich in der der jeweiligen Bezeichnung der agierenden Zelle aus, die in der Regel Bezug auf eine gefallene/verstorbene GenossIn nimmt. Das ist kein Märtyrer-Kult oder HeldInnenpathos, denn erstens ist es für uns als revolutionäre AktivistInnen ein Selbstverständlichkeit, das wir uns in den Kontext (vergangener) Klassen- und Befreiungskämpfe stellen, und zweitens lassen sich anhand dieser und vor allem politischer Biografien Organisationsgeschichten reflektieren. Letzteres ist aus unserer Sicht umso dringender, da es eine Möglichkeit darstellt, um sich bspw. einer spezifischen revolutionären Organisation/Befreiungsbewegung hinsichtlich ihrer Entstehung, Entwicklung und ihres möglichen Zerfalls zu nähern. Außerdem ist Organisations- und Bewegungsgeschichte auch immer eine über gesamtgesellschaftliche Voraussetzungen und Ausgangsbedingungen des revolutionären Kampfes.
Wir waren bei unserer Suche nach einem passenden Gruppennamen sicherlich noch nicht am Ende unseres Kreativpotentials angelangt, möglicherweise ist er auch nur ein zwischenzeitliches Suchergebnis – die Zeit wird’s zeigen… Allerdings können wir uns nicht die Einrichtung einer bezahlten Kreativabteilung leisten, die tagein tagaus damit beschäftigt wäre, einen Namensvorschlag nach dem anderen auf den Tisch zu legen, bis einer, der vermeintlich alle Regeln der Kunst erfüllt, gefunden ist.
In der Mehrzahl der Fälle werden, wenn wir uns in erster Linie auf Bekennerschreiben beschränken, zum Abschluss Parolen oder Slogans gewählt, die dem Begleittext der Aktion eine Zielbestimmung geben sollen. Mal scheint das geglückter, mal weniger geglückt.
Bei der (mg) war ab einem bestimmten Zeitpunkt der Gruppenname mit einem regelmäßig aufgeführten Parolen-”Dreiklang” (“Für einen militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!”) verbunden. Damit stand der feste Gruppenname mit einer diesem vorgeschalteten Abschlusszeile in direkter Verbindung. Man bekam dadurch vermittelt, dass die (mg) mit ihrer Textproduktion, ihren konstanten militanten Aktionen und ihrer (bescheidenden) strukturellen Erweiterung konkrete politische Projekte anleiern wollte. Diesen “Dreiklang” finden wir auch weiterhin zeitgemäß. Um des weiteren zu dokumentieren, dass wir Anschlüsse an die Politik des ehemals existierenden klandestin-militanten Gruppenzusammenhangs (mg) herstellen wollen, behalten wir diese politische “Dreifaltigkeit” bei. Vor allem wird in diesen Abschlussparolen eine Konzeption des Weges zum Ziel auf den Punkt gebracht. Militante Politik hat darin eine Rolle und Aufgabe als Widerstandsfeld einer anvisierten Gesamtorganisation.
Um das Paket von Abschlussparolen und Gruppenname zu vervollständigen, fehlt unserer Ansicht nach die Verschränkung von sozialer Revolution und Antiimperialismus. Um die sozialrevolutionäre und antiimperialistische Flügelzange zu schließen, schalten wir vor dem von der (mg) übernommenen Parolen-Trio “Klasse gegen Klasse – Krieg dem Krieg!” vor. Damit wird unsere klassenkämpferische und revolutionär-antimilitaristische Grundhaltung fixiert. Der Kampf gegen den sozialen Krieg nach innen und den imperialistischen nach außen lässt sich in Anlehnung an Karl Marx und Kurt Tucholsky ausdrucksstark verlautbaren.
Eine kleine Gefahr sehen wir in dieser Erweiterung dennoch: eventuell ist die “Parolen-Sammlung” zu überladen und tendenziell unübersichtlich. Dadurch würde sie im Umkehrschluss an Prägnanz verlieren. Das bleibt zunächst einfach abzuwarten. Im Zuge einer Zwischenbilanz unseres Tuns&Lassens werden wir uns der Labelfrage erneut stellen.
Unser hauptsächliches Interesse mit dieser Auseinandersetzung um eine Teildiskussion im Rahmen der Militanzdebatte besteht darin, aufzuzeigen, dass erstens bereits viel geschrieben, besprochen und getan wurde, und dass zweitens selbst vermeintliche Unterthemen organisierter Militanz (wie die Einsetzung einer “Namensfindungskommission”) den gesamten Komplex berühren und nicht auf wenige leicht konsumierbare Spiegelstriche reduzierbar sind, wenn man denn in der “Etikettenfrage” zu einer Sprachregelung finden will.
Unsere lautet bitteschön so:
Klasse gegen Klasse – Krieg dem Krieg!
Für eine militante Plattform – für einen revolutionären Aufbauprozess – für den Kommunismus!
Revolutionäre Aktionszellen (RAZ)
Mai 2010