Wir dokumentieren auf den nächsten Seiten zwei Beiträge von ehemaligen Aktiven und Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion (RAF). Aktueller Anlass dieser Erklärungen ist der anstehende Prozess gegen Verena Becker im Herbst d.J. wegen einer angeblichen “Verstrickung” in die Planung und Ausführung des Attentats auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Die RAF trennte sich von ihr aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit den bundesdeutschen Fahndungs- und Verfolgungsbehörden.
Der eigentliche Hintergrund geht aber weit über den “Fall Verena Becker” hinaus. Periodenhaft wird von VertreterInnen der repressiven und ideologischen Staatsapparate und ihren medialen MeinungsmacherInnen das Geschütz gegen die 28-jährige Politik der Metropolenguerilla RAF gerichtet. Aus allen Rohren wird geschossen. Selbst notorische Rohrkrepierer werden immer wieder herbeizitiert, um leere Hülsen zu laden. Figuren wie Aust, Boock, Koenen, Kraushaar u.a. bilden dabei seit z.T. Jahrzehnten die Speerspitzen der organisierten Desinformation. Dieses Feld ist ihnen viel zu lange weitgehend ohne Gegenwehr überlassen worden. Es gab nur wenige Beiträge aus der militanten Linken, die sich – im Rahmen ihrer Reichweite – dagegen inhaltlich positioniert haben. Der Text “Kraushaars Buch ‘Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus’ und die Diskreditierung des bewaffneten Kampfes” von der militanten gruppe (mg), der im Januar 2006 erschienen war, ist eines der viel zu wenigen Beispiele der aktiven Einmischung in den Schwall der Lügenmärchen und Groschenromane aus den Schreibstuben der Auftragsliteraten und ihrer Claqueure.
Die Wiederaneignung der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken ist in “unserem Spektrum” ein oft vernachlässigtes Feld politischer Intervention. Wobei sich hier der Tummelplatz der “kulturellen Hegemonie” lebhaft und leibhaftig zeigt. Insbesondere deswegen halten wir die Initiativen der Ehemaligen aus der RAF für absolut wichtige “Originalstimmen”, mit denen dazwischen gegangen wird.
In dem Beitrag “Etwas zur aktuellen Situation – von einigen, die zu unterschiedlichen Zeiten in der RAF waren” wird unserer Ansicht nach ein Teil der “herrschenden Motivation” genannt, warum publizistische Attacken auf die RAF-Politik in Schüben vorgetragen werden, wenn es heißt: “Worum es hier wirklich geht, ist, die Auseinandersetzung mit der Geschichte bewaffneter Politik auf die Ebene von Mord und Gewalt runterzuziehen. Eine Ebene, auf der Zusammenhänge auseinandergerissen und nur noch kriminalistisch abgewickelt werden, damit erst gar kein Raum entsteht, in dem andere als die vorgegebenen Überlegungen angestellt werden”.
In dem zweiten hier dokumentierten Text “Zur aktuellen Kampagne gegen ehemalige RAF-Mitglieder” wird sich gegen den Versuch der “Historisierung der RAF” aufgestellt: “Die RAF ist aber nicht geschichtsmächtig geworden durch Interpretationen von Medien oder durch die ‘Aura’ und ‘Mythen’, sondern durch ihre aktive Zeit, und dass lässt sich im Nachhinein nicht wirklich weghistorisieren und relativiert sich nicht einmal durch persönliche Schwächen einzelner ehemaliger Aktiver, an denen schwere Zeiten und manches persönliche Scheitern genagt haben”.
Wir wollen diese Veröffentlichungen von Ex-RAFlerInnen auch in einem “Eigeninteresse” aufgreifen. Wir wollen diese Schreiben als Aufhänger nutzen, um einen weißen Fleck in der Reflexion der Geschichte der Stadtguerillapolitik in der BRD endlich farblich auszufüllen. Wir haben dabei einen der Abschnitte des revolutionären Widerstands in diesem Land bzw. in Westeuropa vor Augen, der für die 80er Jahre prägend und kennzeichnend war: der “Frontprozess”, der durch das “Mai-Papier” der RAF 1982 konzeptionell vorgestellt wurde. Das Zusammenwirken von Basisprozessen der revolutionären Linken (antiimperialistische Szene), militanten Initiativen (“kämpfende Einheiten”) sowie der Politik der Metropolenguerilla (RAF) im koordinatorischen Verbund mit anderen Gruppierungen (wie der action directe (ad) aus dem französischen Staat) spiegelt sich exemplarisch im “Frontprozess” wider.
Dieser Abschnitt des revolutionären Widerstands ist unverständlicherweise bei der Reflexion völlig ins Abseits geraten, aus dem er herausgeholt werden muss, um sich ein strukturübergreifendes Projekt zu vergegenwärtigen. Anknüpfungspunkte, Bezugslinien und Schnittmengen lassen sich hier dutzendfach ausmachen, ebenso Aspekte, die für den Inhalt des “Frontprozesses” standen, die man heute mit Abstand betrachtet oder verwerfen können muss. Entscheidend ist, dass begonnen wird, an diesen Teil der Widerstandsgeschichte heranzugehen. Den Anschub wollen wir hiermit getan wissen.
Der Text “Die revolutionäre Front aufbauen” von 1986, der aus der Hochphase des “Frontprozesses” stammt und von GenossInnen aus dem Antiimp-Widerstand verfasst wurde, vermittelt einen lebendigen Eindruck von den damaligen politischen Grundlinien: “Unsere Vorstellung und die eigene Orientierung von und in der Entwicklung der Front hier ist genau, diese Dynamik im revolutionären Kampf von Anfang bis Ende mit und durch uns anzuschieben und vorwegzunehmen. Die Entscheidung für den revolutionären Klassenkrieg wird hier nie als massenhafter einmaliger Sprung – ‘Jetzt ist Krieg’ – laufen. Es wird immer der Bruch, die Entscheidung, der Sprung jedes Einzelnen aus dem eigenen authentischen subjektiven Prozeß sein. ‘Abzufordern’ oder ‘hinzuzutreten’ ist unmöglich. Die Aktion der Guerilla und der Front kann in der Bewegung des Widerstands vorangehen und dadurch den Horizont des Möglichen aufreißen. Das ist der einzige Weg, um Entwicklung/Auseinandersetzung/Bewegung zu schaffen und Sprünge in der Entwicklung des revolutionären Prozesses anzuschieben. Praktischer Ausdruck unserer Auseinandersetzung nach dem Winter und zum Sommer hin war der Wille, zum materiellen Angriff zu kommen. Klar, auf dem Niveau, was jeder von uns wollte und für sich selbst vorstellen konnte. Und insgesamt in eine Angriffslinie und Offensive von Guerilla und Widerstand integriert”.
Dieser Auszug eines sehr charakteristischen “Frontprozess”-Beitrags (einschließlich des Duktus’) liefert bereits genügend Diskussionsstoff: das “Paar Subjektivismus und Voluntarismus” kommt in diesen Sätzen voll zur Ausprägung, so dass die Kontroverse doch kaum offener zu tage treten könnte.
Und zur Wahl der Mittel heißt es prägnant: “Es ist immer so, daß wir aus der Situation und Konfrontation und in der Bestimmung unseres politischen und praktischen Ziels dadrin bestimmen, ob der Angriff politisch sinnvoll und notwendig ist und deshalb läuft oder nicht – und in welcher Schärfe”. Der Militanzgrad und die bewaffnete Propaganda waren, was nicht überraschen kann, in den 80er Jahren genauso Gegenstand des Abgleichs von Positionen, wie heute auch.
Jeder Diskussionsaufruf birgt die Gefahr unerhört und folgenlos zu bleiben. Der eine oder andere Aufruf findet auch bei uns keinen Zugang mehr, da er förmlich abgedroschen ist und nur noch verpuffen kann.
Wir wissen aber, dass GenossInnen einerseits auf ihrem Material aus der Zeit des “Frontprozesses” sitzen, falls sie es nicht doch schon während des letzten strengen Winters verfeuert haben sollten, andererseits vernehmen wir ein latentes Interesse an diesem Abschnitt der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken, dem wir überaus gerne zum Durchbruch verhelfen wollen. Dazu brauchen wir aber auch Euren Beitrag – in mehrfacher Hinsicht!
radikal-Redaktion