Über die Widerhaken einer fortgesetzten Fortsetzung der Militanzdebatte – oder wie ist der Sprung in eine Organisierungsdebatte zu vollbringen

Aller (Wieder-)Anfang scheint verdammt schwer zu sein. Das trifft erfahrungsgemäß vor allem auf Diskussionsversuche im zersplitterten Spektrum der revolutionären Linken zu, die die Kenntnis des vormals Diskutierten voraussetzen und den Willen erfordern, an diesen Kenntnisstand auch tatsächlich anzuknüpfen bzw. anknüpfen zu wollen. Dies lässt sich an der Geschichte der Militanz-Debatten in der revolutionären Linken der vergangenen zwei Jahrzehnte “gut” ablesen.
Das, was als Mindestvoraussetzung gesetzt werden müsste, wird nur in den allerwenigsten Fällen gewährleistet. Das macht es für jene, die sich seit Jahren immer wieder bemühen, einen kontinuierlichen und aufeinander aufbauenden Diskussionsstrang unter Militanten der revolutionären Linken zu entwickeln, extrem kompliziert, mit der Militanzdebatte erkennbar vorwärts zu kommen. In der Regel muss festgestellt werden, dass sich die Diskussion um Ausgangsbedingungen und Voraussetzungen organisierter Militanz oft im Kreise dreht, nicht von der Stelle kommt und teilweise die Tendenz hat, (mehrere) Rollen rückwärts zu fallen. Wir beschreiben ein Manko, das in der zurückliegenden Militanz-Debatte, die von 2001 bis 2009 inhaltlich wesentlich von der militanten gruppe (mg) getragen wurde, schon mehrfach geäußert wurde. Selbst die Aussage, dass das bereits gesagt wurde, wurde bereits gesagt. Auch das ist ein Ausdruck des Dilemmas der Militanzdebatte(n) in der revolutionären Linken, Runde für Runde eingestehen zu müssen, dass wir es als AktivistInnen bislang nicht vermocht haben, das Lamentieren abzustellen und eine inhaltlich umfassende, praktisch flankierte und organisatorisch untermauerte Diskussion zu konzeptionieren.

Was folgt daraus?

Keine Resignation – natürlich! Die Frage nach der organisierten Militanz im komplexen revolutionären Aufbauprozess ist eine der zentralen. Im Kern wird durch die (offensive) Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols die Perspektive nach einer kommunistischen, klassen- und staatenlosen Gesellschaftsform zum Thema erhoben. Indem durch gezielte klandestin-militante Eingriffe gezeigt werden kann, dass die Allmacht der repressiven und ideologischen Staatsapparate nicht auf Ewig zementiert sein muss, sind sie auch ein Mittel gegen die oft grassierende politische Hoffnungslosigkeit, aus der dann die Gleichgültigkeit jedweder Entwicklung innerhalb der revolutionären Linken entspringt. D.h., Resignation und Desillusionierung sind als “Ratgeberinnen” völlig untauglich, zumal sie selten als ein Übergangsstadium der Reflexion funktionieren, sondern oft die Vorboten eines Ausstiegs auf Raten darstellen. Deswegen sind die durchaus im doppelten Sinne zu verstehenden aufbauenden Momente revolutionärer Politik auch überhaupt nicht unwichtig.Ein struktureller Aufbau eines basisorientierten, informellen und klandestinen Gruppengeflechts lässt sich mit Zuversicht und geschichtlichem Rückenwind um einiges leichter bewerkstelligen, als wenn man von tiefen Depressionen eingefangen wird.
Die Auseinandersetzung über die inhaltliche Legitimation und die organisatorische Form einer militanten Praxis, also militanter Politik, dürfte von allen etwas näher Beteiligten als Dauerthema angesehen werden. Es handelt sich hierbei um mehr als ein simples Modephänomen, auch wenn es Phasen gibt, in denen der kontroverse Meinungs- und Positionenstreit um die organisierte Militanz stärker im Trend liegt als zu anderen Zeitabschnitten. Soviel können wir also vorausschicken.
Was sind für Konsequenzen zu ziehen, wenn wir periodisch den gleichen Fragen gegenüberstehen und uns damit begnügen (müssen), aufgrund abgebrochener oder stecken gebliebener Debatten wenig bis nichts Nachhaltiges hinterlassen zu haben – zumindest nicht mehr als Hunderte Seiten bedrucktes Papier? Klar, ein x-ter, weiterer, anders akzentuierter und organisierter Diskussionsvorschlag und -anlauf muss her. Einer, der Voraussetzungen und Ausgangsbedingungen schafft, die bislang nicht so recht hinbekommen wurden. Die Frage scheint uns dann richtig gestellt zu sein, wenn in der Konsequenz das Material für die Diskussionsgrundlage beschafft wird, auf der man Schritt um Schritt vorankommen will. “(…) aber haben wir nicht bereits ausreichend den Projektstart einer Neubestimmung einer Militanzdebatte vermeldet bekommen, ohne das je einer dieser Bestimmungsversuche irgendwie in sich inhaltlich, praktisch und organisatorisch manifestiert worden wäre”, fragt berechtigterweise die (mg) in ihrem Text “Militanz ohne Organisation ist wie Suppe ohne Salz” – Abschlussworte zur Militanzdebatte” in der radikal 161.
Schon in der Anfangszeit der Militanz-Debatte drehte sich ein Punkt der Auseinandersetzung um wiederholt eingebrachte Neubestimmungsversuche militanter Politik, die Ignoranz laufender diesbezüglicher Debatten und die faktische Blockade von Diskussionsverläufen um organisierte Militanz. In einem Text aus dem Jahre 2002 von “einige GenossInnen aus ehemaligen und aktiven linksradikalen Zusammenhängen” (Interim 555) wird das u.a. beanstandet: “es ist schon erstaunlich, wie ‘eine verdeckt organisierte Gruppe aus der Region Stuttgart-Neckar-Alb’ vor knapp zwei Jahren in der Interim (Nr. 502) von der Neubestimmung militanter Politik schwadroniert und jetzt eine angelaufene Debatte um Voraussetzungen und Inhalt militanter Politik blockiert”. Es könnten noch ein Dutzend weiterer Beispiele angeführt werden, die zeigen würden, dass die  “(Neu-)Bestimmung militanter Politik” in der Regel eine bloße große Ankündigung und hohle Phrase blieb.
Wir wollen nicht verhehlen, dass die “Ausrufung” einer wieder-wieder-wiederholten Initiative zur “Großbesprechung” des militant-klandestinen Allerlei einen/eine vor dem Hintergrund der zumeist mageren Resultate der vormaligen Diskussionsaufrufe zeitweilig leicht konsternieren kann. Dennoch sehen wir es, ganz im Sinne unseres unumstößlichen Optimismus, als alternativlos an, die Debattenfragmente der letzten 15 bis 20 Jahre zusammenzutragen, vorzustellen und vor allem zu reflektieren, damit wir uns in den Startblock begeben können, von dem aus der Lauf losgehen soll. Bevor der Startschuss ertönen sollte, braucht es aber vorab eine tiefe Atempause, um sich zu vergegenwärtigen, wo sich die eigene Laufbahn überhaupt befindet. Für die Überquerung der Zielmarke ist eine möglichst exakte Wegbeschreibung absolut unverzichtbar. Deshalb muss zunächst wohl überlegt werden, wie wir die ganze Schoße aufziehen wollen, damit kein weiteres Mal Enttäuschung und Niedergeschlagenheit vor allem in Teilen des militanten Sektors der revolutionären Linken um sich greifen. Wir wollen es zugespitzt formulieren: falls kurz nach dem Weckruf zur Militanz-Debatte wiederum ein klassischer Fehlstart zu vermelden sein sollte, zieht nicht mehr die rechtfertigende Ausrede, dass sich die InitiatorInnen im Zeitpunkt verkalkuliert oder die Umstände zu wenig berücksichtigt hätten. Der Scherbenhaufen wäre groß und die Glaubwürdigkeit, ernsthaft Fragen&Antworten organisierter Militanz in einem Klärungsprozess innerhalb der (revolutionären) Linken in Angriff zu nehmen für längere Zeit (zurecht) dahin. Von daher sollte jede Initiative einer Militanz-Debatte bis ins Einzelne gehend durchdacht und nicht aus der Hüfte “geschossen” werden.
Den richtigen Einstieg in die aktualisierte Militanzdebatte zu finden, ist deshalb so wichtig, weil eine unübersichtliche und zum Teil verwirrende Materialfülle vorliegt. Erschwerend kommt folgendes hinzu: Auch wenn es sich beinahe durch die Bank um keine in sich abgeschlossenen Militanz-Debatten der vergangenen zwei Jahrzehnte handelt, so haben diese doch eine Dichte von Lesestoff hinterlassen, dessen “Bewältigung” allein einige Zeit in Anspruch nehmen wird, um eine Art Vorauswahl treffen zu können, was wie aufbereitet und zur weiteren Diskussion gestellt werden soll.
Es dürfte zudem unzureichend sein, lediglich einzelne, zeitlich voneinander abgetrennte Militanz-Debatten(-versuche) in ihren wesentlichen Zügen schlicht aufzusagen und eine auf die andere folgen zu lassen. Ein solches Vorgehen hätte zu sehr den Charakter einer bloßen klinischen Wiedergabe von Teildiskussionen ohne dass Verbindungslinien und gegenseitige Bezüge herausgearbeitet werden könnten. Aber genau darum müsste es gehen, wenn nicht nur eine oberflächliche Draufschau stattfinden soll, sondern die einzelnen Debattenfragmente auf Herz und Nieren “geprüft” werden sollen.
Zumindest haben wir bis hierin klargemacht, dass kein Weg an einer so-und-so-vielen Neuauflage einer Militanz-Debatte vorbeiführt. Und zur besagten Wegbeschreibung gehört, sich die zurückliegenden Ursachen und Gründe des Abbruchs und Scheiterns der Militanz-Debatten anzuschauen, nach Möglichkeit auszuwerten und Rückschlüsse zu ziehen. Wir werden dabei allerdings auch die Bekanntschaft mit Ursachen und Gründen machen, die auch für einen neuerlichen Diskussionsanlauf schwer auszuschalten sein werden.
An diesem Punkt stehen wir in einem tendenziellen Gegensatz zu den GenossInnen der (mg), wenn sie in ihrem erwähnten Abschlusspapier festhalten: “(…) wir (brauchen) keinen rhetorisch großspurig vorgetragenen Auftakt für eine  ‘Neubestimmung von Militanz’. Es gibt sowohl inhaltlich ausgearbeitete Kriterienkataloge zu militanter Praxis, militanter Politik und Militanz in der Differenz zur bewaffneten Propaganda, als auch kontextgebundene (und übertragbare) Ausführungen zu einer militanten Kampagne, aber auch militante Antwortversuche auf Akte präventiver Konterrevolution und nicht zuletzt konkrete organisatorische Vorstellungen der Koordinierung militanter und klandestiner Gruppenstrukturen”.
Die (mg) stellt unserer Meinung nach nicht hoch genug in Rechnung, dass die Fundamente, auf denen eine Reflexion und Resultatssuche hinsichtlich der verzweigten Fragen organisierter Militanz fußen müsste, dauerhaft fragil waren und nach wie vor sind. Das hat eine längere, sich fortsetzende Vorgeschichte, deshalb der regelmäßig stattfindende Einbruch der Debatte und die schnell schwindende Diskussionsbereitschaft. Außerdem lassen sich Diskussionsstände schlecht konservieren, es ist schwer, ein einmal erreichtes Erkenntnisniveau für allgemeingültig zu erklären, denn es ist zumeist nicht das Erkenntnisniveau aller Diskussionsbeteiligter, sondern jenes der vorangehenden klandestin-militanten Gruppenstrukturen. Es kann demzufolge nicht von den “VorreiterInnen” auf alle geschlossen werden. Wir setzen an dieser Stelle einen Punkt, da wir uns inhaltlich bereits im Folgeabschnitt befinden; wir werden jedenfalls versuchen, einen “Ausweg” zu Papier zu bringen, der sich dann hoffentlich als tatsächlich gangbar erweist.

Gründe des Scheiterns der Mehrzahl der Militanz-Debatten

Einige Aspekte lassen die Wahrscheinlichkeit, einen “messbaren Ertrag” einer Militanz-Debatte erwarten zu dürfen, prozentual niedrig ausfallen. Und auf dem Neustart der Debatte um organisierte Militanz lastet aufgrund der negativen Erfahrungswerte und der wenig positiven Begleitumstände eine ziemlich schwere Hypothek.
In verschiedenen Beiträgen der vergangenen Militanz-Debatte sind Gründe und Problempunkte aufgeführt worden, die ursächlich sind, dass sich eine Auseinandersetzung über Fragen und (Halb-)Antworten organisierter Militanz nicht kontinuierlich und “ergebnisorientiert” entfaltet hat bzw. entfalten konnte. Bewegungszyklen haben nicht nur die Eigenschaft, dass ein “personeller Austausch” politischer AktivistInnen erfolgt, wechselnde Themen-und Fragestellungen in den Vordergrund- oder Hintergrund rücken, sondern vor allem auch, dass eine “Weitergabe” von Wissen und Erfahrungen nicht kollektiviert wird, vermutlich auch nicht bis in jedes Detail hinein kollektiviert werden kann.
Die “Anschlussfähigkeit” scheint nicht gegeben zu sein, oft wirkt es so, dass daran auch kein Interesse besteht bzw. keine ausreichenden Bemühungen in diese Richtung unternommen werden. Dabei ist doch die Vermittlungsarbeit kein bloßer “Dienstleistungsvorgang” für die nachrückenden (anpolitisierten) Generationen, die sich in den Spektren der revolutionären Linken bewegen. Sie ist existenziell, wenn wir uns nicht mit schlechter Regelmäßigkeit an einem Nullpunkt wiederfinden wollen. Es liegt zwar außerordentlich viel an Material vor, es ist aber weitgehend unaufbereitet, in alle Winde verweht und muss zum Teil aufgrund des Verschüttet-Seins erst wieder freigelegt werden, damit man überhaupt zugreifen kann. Archivarische und antiquarische Arbeiten sind hier zu verrichten, um eine Gesamtausgabe der Militanz-Debatten vorlegen zu können. Kurz gesagt: der erste Haken besteht in der mangelnden Vollständigkeit des Materials; es muss erst gesichtet und (recht mühsam) zusammengetragen werden. Unvollständiges Material lässt nur unvollständige Schlüsse, d.h. Kurz-Schlüsse zu, die einer fundierten Debatte um organisierte Militanz abträglich sind.
Nun haben wir durchaus die Erfahrung machen müssen, dass jene, die sich mitunter schon eine Vielzahl von Jahren in den Spektren der revolutionären Linken aufhalten, vieles an Diskussion (und auch Aktion) nur am Rande mitbekommen haben und gar nicht in der Lage sind, etwas zu spezielleren Themen vermitteln zu können. Das hat u.a. auch mit dem szenespezifischen Milieu von Teilen der revolutionären Linken zu tun; für viele ist und war “die Szene” ein mehr oder weniger angenehmer Aufenthaltsort, ein “Durchlauferhitzer”, um sich später als Advokat/Advokatin zu verdingen oder um ein Mandat in einer lokalen/regionalen “Quasselbude” zu erringen – mehr aber auch nicht. Das führt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit dazu, dass sich zwar ein gewisser radikalistischer Habitus von Generation zu Generation überträgt, eine “festgefügtere” Ansicht über die revolutionäre Linke und deren Politik(-versuche) bleibt aber zumeist aus. Kurz gesagt: der zweite Haken besteht darin, dass es zu wenige AktivistInnen in der revolutionären Linken gibt, die die “VermittlerInnenrolle” spielen könnten. Zudem scheint es irgendwie anrüchig zu sein, so etwas wie “Schulungskurse” anzusetzen, die entweder eher intern oder im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungsreihen stattfinden.
Die Militanz-Debatte führte ein merkwürdiges Eigenleben, sie war zum einen stark durch ihre Spezialisierung auf einen Teilausschnitt revolutionärer Politik geprägt, zum anderen war sie weitgehend technisch und von den konkreten gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und Verwicklungen abgekoppelt. Es gelang, trotz des gegenteiligen Anspruchdenkens, wenig, die Diskutierbarkeit militanter Politik über den sehr begrenzten Kreis von AktivistInnen hinaus zu befördern bzw. diese Politikform als Diskurs außerhalb der (revolutionären) Linken einzubringen. Die Militanz-Debatte war deshalb folgerichtig eine Kontroverse unter einer Handvoll von SpezialistInnen, die maximal eine gewisse Ausstrahlungskraft in die aktivistische linksradikale Szenerie haben konnte. Kurz gesagt: der dritte Haken war, dass sie aufgrund ihrer Enge realitätsfern war und eine zu schmale Basis hatte.
Die Ungleichzeitigkeit und unterschiedliche Einschätzung der Relevanz einer Militanz-Debatte im eigenen Polit-Alltag trug wesentlich dazu bei, dass jene zu wenig Aufnahme und Beachtung fand. Z.T. konnte man sich als interessierter Beteiligter/interessierte Beteiligte noch damit herausreden, dass von einer mittelfristigen oder gar von einer Langzeitwirkung auszugehen ist, wenn man in einer solchen Debatte einen aktiven Part übernommen hat bzw. in eine solche eingestiegen war. Da ist durchaus nach wie vor etwas Wahres dran, nur hebt es nicht das Problem auf, dass die Ungleichzeitigkeit und die differierende Beurteilung, was wann und mit welcher Intensität zu diskutieren ist, dazu führt, dass nicht zu einem definitiven Zeitpunkt an einem Strang gezogen werden kann. Kurz gesagt: der vierte Haken war der, dass ein Debattenanpfiff nicht von allen (potentiellen) TeilnehmerInnen gleich schnell und laut wahrgenommen wurde.
Die Militanz-Debatte kann keineswegs als einheitlich Ganzes gesehen werden, sondern als fortlaufende Weiterentwicklung mittels Konkretisierung, Zuspitzung, bisweilen auch Modifizierung – entsprechend den praktischen Erfahrungen der revolutionären Linken. Das haben wir auch erst relativ spät begriffen. Die Diskussion um den Komplex Militanz lässt sich nicht quasi einkästeln und hermetisch von anderen abschließen. Der militante Akt, wenn er denn als konkreter Ausdruck einer politisch-konzeptionellen Idee verstanden wird, ist Teil der zu beantwortenden Frage, wie sich eine soziale Gegenmacht von unten im Rahmen eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses entwickeln kann. Kurz gesagt: der fünfte Haken war, dass die Militanz-Debatte nicht in eine Organisierungsdebatte, die die Bildung einer Organisation einschließt, erweitert bzw. überführt werden konnte.
Wenn wir das halbe Dutzend Haken voll machen wollten, dann fällt rückblickend auf, dass es zum Teil ein “beliebter Sport” war, sich bestimmte Versatzstücke aus einer Militanz-Debatte selektiv herauszugreifen und diese vom jeweiligen Kontext abzulösen. Das hat dann den Boden einer durchsichtigen Instrumentalisierung für ideologische Richtungskämpfe im Rahmen der Militanz-Debatte bereitet. Kurz gesagt: der sechste Haken war, dass in der Vergangenheit eine stark tendenziöse “Fehlersuche” in den Textbeiträgen der KontrahentInnen stattgefunden hat, oft auf Kosten des Suchens nach Verbindungen und/oder Gemeinsamkeiten.
Diese von uns ausgeworfenen Haken der Militanz-Debatte lassen sich sicherlich weiter ausdifferenzieren und intensiver behandeln. Dagegen ist auch nicht der geringste Einwand zu erheben; nur denken wir, dass sich genau dieses “feinstoffliche” Auseinandernehmen von Aspekten der Militanz im Zuge der wiederentfachten Debatte zeigen muss.
Nichtsdestotrotz scheinen damit die Einstiegshürden der Organisierungsdebatte mit einem ihrer Kernbestandteile, der Militanz, sehr hoch zu sein, höher, als dass sie so ohne weiteres zu überwinden sein werden. Wenn wir darüber hinaus an den (realistischen) Punkt angelangt sind, dass im Moment nur von einzelnen klandestin-militanten Gruppenzusammenhängen eine weiterführende Militanz-Debatte eingegangen werden kann und dass in der Mehrzahl Beiträge abgeliefert werden, die weder den Kenntnisstand mitbringen (wollen) noch an einem bezugnehmenden Austausch aktiv mitwirken können, so muss das aus unserer Sicht die logische Konsequenz nach sich ziehen, dass die, die die Verantwortung für die Initiative einer Militanz-Debatte übernehmen und für deren Kontinuität sorgen wollen, sich nicht mehr so leicht von den geschilderten Haken und Ösen aus dem Konzept bringen lassen. Das ist die eine Seite der Konsequenz; die andere ist die, dass die Hinderungsgründe für einen sprudelnden Diskussionsfluss nicht nur im Hinterkopf sein müssen, sondern in die Konzeption einer Militanz-Debatte Eingang finden müssen, um auch die Erwartungshaltung an eine solche Debatte auf das herunterzuschrauben, was leistbar ist.

Debattenausläufer und Stillstand

Nach dem erwähnten Abschlussbeitrag zur Militanzdebatte von der (mg) waren vereinzelt Texte vor allem in der Interim erschienen, die sich schwerpunktmäßig bzw. am Rande mit der abgelaufenen Militanzdebatte beschäftigten. Teilweise wird auf Positionen der (mg) ausdrücklich Bezug genommen, teilweise werden diese fahrlässig und/oder vorsätzlich verzerrt, um aus dieser Negativ-Bestimmung eine eigene Position kreieren zu können. Bis auf Ausnahmen müssen diese Beiträge als ein Rückfall in alte Gewohnheiten verstanden werden. Sie zeichnen sich “inhaltlich” in erster Linie dadurch aus, dass sie die wie per Knopfdruck verlautbarten Abgrenzungsrituale mit Diffamierungen garnieren und (vorhersehbaren) Beißreflexen Ausdruck verleihen.
Wir als InitiatorInnen und GenossInnen, die den publizistischen Raum für eine solche langfristig angelegte und mehrspurige Debatte zur Verfügung stellen wollen, brechen mit diesem verhängnisvoll einflußreichen Dogmatismus im Umgang mit bestimmten Positionen und Gruppen aus der Welt klandestin-militanter Kreativität. Als revolutionäre Linke zielen wir auf produktive Auseinandersetzungen und auf eine gemeinsam entwickelte und getragene militante Politik.
In dieser radikal-Ausgabe drucken wir zwei recht gegensätzliche Beiträge ab, die ein Ausdruck dessen sind, was wir beschrieben haben. Die Tendenz, sich konstruktiv und perspektivisch in den Kontext einer praktischen Debatte einzubringen und die mit dieser konkurrierenden Tendenz, das Nichtvorhandensein eigener konzeptioneller Vorstellungen durch eine Mixtur aus Wortradikalismus und Ignoranz zu überspielen. Beide Tendenzen ringen bereits seit dem Debattenbeginn 2001 miteinander um “Marktanteile” in der revolutionären Linken. Von daher sind beide, trotz ihrer völlig unterschiedlichen Absicht, miteinander in einem Diskurs verstrickt, der bei einer Fortsetzung eine Entwicklung eines revolutionären Aufbaus nicht zulassen wird.
Eine Lehre, die aus der Militanzdebatte von 2001 bis 2009 unbedingt zu ziehen war, ist, dass es nicht nur eine Zeitverschwendung, sondern geradezu eine Blockade bedeutet, wenn mit z.T. ellenlangen Erwiderungen auf erkennbar sinnfreie und inhaltlslose Beiträge reagiert wurde. Insbesondere bei der (mg) setzte sich die Linie durch, durch ein permanentes Antworten und Entgegnen in beinahe paternalistischer Weise den eigenen Gedankengängen auch bei jenen zum Durchbruch verhelfen zu wollen, die notorisch dicht machten. Es ist aber ab einem gewissen Zeitpunkt überflüssig, vor verrammelten Verschlägen Einlass zu begehren – wo hätte das denn auch hinführen sollen? Wir können als radikal-Kollektiv nur die Kritik nachreichen, dass es ein fataler Fehler war, sich zu sehr mit Beiträgen und Gruppierungen geclincht zu haben, die nicht nur zu vernachlässigen gewesen wären, sondern die auch davon abgehalten haben, sich denen viel intensiver zuzuwenden, die an einem komplexen revolutionären Aufbauprozess intern und extern Interesse bekundet hatten. Gut, die Zeit ist nicht zurück zu drehen, aber die Lehre daraus bleibt.
Um der Chronistenpflicht als allseits beliebtes Blatt für Unerhörtes und Ungeheuerliches gerecht zu werden, haben wir uns auch noch ein paar Sätze, wirklich nur ein paar, für einen Spezialfall aufgehoben, der (kommentarlos) Platz in der Interim (707) gefunden hat und dort nachgeblättert werden kann. Unsere Bezugnahme erfolgt deshalb, weil die anderswo ausgebliebene (Kurz-)Kommentierung nachgeholt werden muss.
Wir möchten, der Tendenzbeschreibung folgend, zunächst einen nicht näher übertitelter Beitrag von “eine gruppe aus den autonomen gruppen” aus der Interim 706 streifen, der u.a. die zweite Ausgabe der “Tarnkappen”-radikal zum Aufhänger hat.  Als “Hauptkritikpunkt” wird die fehlende (Post-)Adresse angeführt. Eine Formal-Kritik, die aus zwei Gründen nicht greift: über die vormalige Kontaktadresse, die zu Zeiten der sog. Schwarzen Reihe übrigens ungeprüft (!) von den VorgängerInnen übernommen wurde, konnte kein reibungsloser Kommunikationsfluss gewährleistet werden – Post kam nie an, ging verloren oder blieb unbeantwortet. Nach intensiv geführten Diskussionen hat sich für uns ergeben, dass für ein Blatt wie die radikal eine fixe örtliche Adresse und der alles andere als sichere Kommunikationsweg über Land oder See unzweckmäßig sind. Deshalb die E-Mail-Variante, die nicht nur einen Austausch erleichtert, sondern auch wesentlich einfacher zu handhaben ist.
Dieser autonome Zirkel schätzt offenbar Schulhofspiele und fordert uns zum Murmeln auf: “Ihr gebt den Anschein als ‘revolutionäre Linke’, als säßet ihr bereits fest im Sattel und reitet voran. Das können wir so nicht stehen lassen und streuen euch eine Handvoll Murmeln unter die Hufe, um euch aus dem Sattel zu holen”. Nicht, dass wir schon die Altersgrenze für Murmeleien überschritten hätten, aber man muss ja nicht jede Offerte annehmen. Vielleicht nur soviel: Wir legen gewiss einen gesteigerten Wert darauf, nicht nur strahlend zu (er-)scheinen, sondern mit und um die radikal herum einen Strukturaufbau der revolutionären Linken zu forcieren, so dass wir aus dem Trab heraus den einen oder anderen Galoppsprung sattelfest und ohne Blessuren unternehmen können.
Die KollegInnen von “eine gruppe aus den autonomen gruppen” zeigen sich hinsichtlich der Zeitschrift, die ihr gerade in den Händen haltet, ziemlich besorgt. Das erschließt sich uns nicht so recht, vor allem nicht, wenn frühere HerausgeberInnen zum Handeln genötigt werden, “um das Fiasko der neuen radikal positiv zu beeinflussen”. Wir kapieren nicht einmal das, was mit dieser Aufforderung gemeint sein könnte (“ein Fiasko positiv beeinflussen” ???) Egal. Wir wollen es dabei bewenden lassen, um im selben Atemzug zu versichern, dass sich die radikal  bei uns pudelwohl fühlt.
Zu einem weiteren Punkt: Auffallend ist vor allem der drastische Sprachgebrauch jener offensichtlich noch dynamischen autonomen Fraktion. Wir sehen uns ein wenig in die Bergketten des kolonisierten Kurdistans versetzt, wenn wir diesem Teil der “autonomen gruppen” so lauschen: “Viele Operationen, die in der Vergangenheit ausgeführt wurden, waren Erfolge”. Oder: “Die Operationen der Vergangenheit sprechen für uns”. Oder auch: “Für uns, welche seit einiger Zeit den Kampf gegen die Herrschenden hierzulande aufgenommen haben (…)”. Oder noch ein Letztes: “Mit Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit werden wir den Schweinen endgültig den garaus machen”. Das ist doch alles in allem extrem dick aufgetragen, zumal uns dieser Text keinen Schimmer davon liefert, von welchen “Operationen” überhaupt die Rede ist. Unbegründet und hochmütig fällt auch der Textschluss aus: “Wir lassen nicht locker, denn wir liegen richtig!”
Dieser Beitrag hinterlässt vor allem das Fragezeichen, ob der pur vorgetragene Verbalradikalismus tatsächlich mit einem “militanten Alltag” der AutorInnen in Übereinstimmung steht – vor lauter “Operationen” käme man ja gar nicht mehr zum Holen der morgendlichen Brötchen oder zur entspannten Verabredung, um mit FreundInnen ‘ne neue Sorte  Milchcafe auszuprobieren.
Versöhnlichere Töne werden gegenüber den RAZ angestimmt: “Wir finden die Aktionen der RAZ in den letzten Monaten schon okay. Jedoch haben wir einige Kritik an der Ausführung der Aktionen, nicht aber an der Entschlossenheit, diese durchzuführen”. Das kann eine Ausgangsbasis für eine Diskussion unter klandestin-militanten Zusammenhängen sein, die wir als radikal-Kollektiv begrüßen und durch die Zur-Verfügung-Stellung von Seitenzahlen unterstützen würden. Das, was uns allerdings zu verknappt dargestellt scheint, ist, dass die “Entschlossenheit” kein Wert an sich ist, sondern, wie im Falle der RAZ, ein Ergebnis ihrer (in der Entwicklung begriffenen) Konzeption ist, die sich lt. eigener Aussage an  die Politik der (mg) und von KgK anlehnt. Diese “Entschlossenheit” kann demzufolge kaum von den konzeptionellen Überlegungen der RAZ isoliert werden.
Der Text “the hand of the handless – Ein Beitrag zur Militanzdebatte von der ‘Bewegung schwarzer Phönix’”, der uns per E-Mail zugegangen war, nimmt über die Diskussion einiger Punkte von “eine gruppe aus den autonomen gruppen” am direktesten Bezug zur radikal und RL-Politik. Von den drei Papieren, die wir in unserem Text knapp anschneiden, sticht dieser heraus, da er im Gegensatz zu den beiden anderen an die Militanzdebatte von 2001 bis 2009 anschließt. Dabei wird sowohl kritisch der Stil von Textbeiträgen der (mg) kritisiert als auch bemerkt, dass es um die Umsetzung von Koordinierungsvorschlägen geht: “Trotz aller Kritik, Repressionsfurcht und Unterschiede zwischen den militanten Gruppen finden wir es wichtig, militante Politik gemeinsam zu machen, gemeinsam eine militante Plattform aufzubauen”.
Recht haben die schwarzen PhönixianerInnen darin, dass die Beschreibung des sog. Gasaki-Modells bisher nicht alle Anwendungskriterien berücksichtigt hat. Diese Anleitung für einen “kombinierten Brand-/Sprengsatz” ist allerdings von den GenossInnen der Revolutionären Aktionszellen (RAZ) in der radikal 162 erweitert und konkretisiert worden. In dieser neuen, vorliegenden Ausgabe werden von den RAZ explizit Sicherheitsregeln aufgestellt, die sich für die GenossInnen aus ihrer eigenen Praxis ableiten lassen. Damit ist, so denken wir, zum einen erfüllt worden, dass Bau-Anleitungen, falls sich neue Erkenntnisse ergeben, beständig bezüglich der Handhabung verbessert und sicherer werden, und zum anderen haben wir uns als BlattmacherInnen in der Verantwortung gesehen, eine völlig unzureichende Mini-Vorstellung von “Gasaki” (siehe Interim 701) nicht unkommentiert zu lassen.
In diesem Zusammenhang finden wir die Phönix-Hinweise auf Funkfern- und Brückenzünder sehr “sachdienlich”. Eine nähere Beschreibung von Praxistests wäre allerdings hilfreich, um eine Verwendung dieser Bauelemente zu erleichtern.
Des weiteren werden in dem Phönix-Text drei Punkte aufgeführt (Antirepressionsarbeit, gesellschaftliche Verankerung und “rechtsfreie Räume”), die für wesentlich gehalten werden, warum u.a. das Massaker-Denkmal von der Niederschlagung der Pariser Kommune von 1871, die sog. Siegessäule in Berlin, vorerst inmitten der Stadt stehen bleibt und nicht auf dem Weg zum Mond ist. Wie das miteinander zusammenhängt, erfahrt ihr, wenn ihr euch den von uns dokumentierten Text einige Seiten weiter durchlest. Am ehesten dürfte streitig sein, sog. rechtsfreie Räume, z.B. besetzte Häuser, als Ausgangspunkt und Rückzugsort auch klandestin-militanter Aktionen zu betrachten.
(Ein kleiner Einschub oder wie war das mit dem “Haken der Ungleichzeitigkeit”!? Kurz vor unserem festgelegten Redaktionsschluss haben wir das “Einladungsschreiben zur Militanzdebatte” im Rahmen der “Autonomen Vollversammlung” in Berlin, das lt.  Angaben von der “Bewegung schwarzer Phönix” verfasst wurde, bekommen. Hier verpassen sich zwei Anstöße zur Debatte um organisierte Militanz, auch wenn sie sich nur um Haaresbreite verfehlt haben; bestenfalls überlagern sie sich. Ob sich die beiden Anstöße ergänzen oder doch recht weit auseinandergehen, lässt sich nicht vorhersagen. Sowohl hinsichtlich der anvisierten Diskussion über die Präzision klandestin-militanter Aktionen als auch der Realisierungsaussichten einer militanten Plattform sehen wir wesentliche Überschneidungen zu dem, was uns umhertreibt. Insbesondere ist der (mg-)Strukturvorschlag einer militanten Plattform eminent wichtig, da er darauf abzielt, durch die Koordination klandestin-militanter Gruppenzusammenhänge gemeinsame inhaltlich-praktische Projekte zu sondieren, die wiederum Elemente eines breiter angelegten Organisierungsprozesses innerhalb der revolutionären Linken sein sollen. Damit wäre ein Schwenk von der Militanz- zur Organisierungs-Debatte möglich, den wir für zielführend halten.).
Und nun noch zu einem nicht dokumentierten Text, der sich u.a. auf die radikal bezieht und als “Militanzdebattenbeitrag” verstanden werden will: “Lärmende Inhalte. Anmerkungen zu Ohnmacht, Militarisierung und Militanz” von “Freunde Erich Mühsams angedockt an Freie Radikal.e”. Möglicherweise erinnert sich die radikal-Gemeinde an die (mg)-Schlussworte zur Militanzdebatte, die in der radikal 161 vorgestellt wurden. Darin kommen die frei radikalen Beiträge begründeterweise nicht sonderlich gut bei weg.
Vielleicht fällt deshalb das Urteil als Retourkutsche so kategorisch aus: “In der MG mit oder ohne Transformationsprozess erkennen wir keinen Bezugspunkt für gemeinsame Diskussionen und gemeinsame Perspektiven”. Selbstgefällig wird nachgeschoben: “Das zu ändern liegt nicht an uns”. Naheliegend wäre es aus unserer Sicht gewesen, wenn sich die “Freien Radikale” um einen Antworttext bemüht hätten. Fehlanzeige. Als “Ausweichmanöver” wird stattdessen eine eilig zusammengewürfelte “Kritik” in Richtung radikal formuliert, in der ein “scheinbarer Stilbruch”, der “eigentlich ein Bruch mit einer politischen Ausrichtung” sei, angeprangert wird. Die schwersten Geschütze werden da aufgefahren, die sich in der radikal abbilden würden: “dogmatisch-kommunistisch”, “patriarchalisch”, “Militarismus”, “Fetischisierung von Gewalt” und dergleichen mehr.
Es ist sehr schwer dagegen anzugehen, wenn sich eine “Kritik” auf eine  zurechtgeschnittene Grundlage bezieht, die zwar nichts mit dem radikal-Inhalt, viel aber mit einer Fiktion zu tun hat. Nach einer Kurzsitzung haben wir den psychologischen Kaffeesatz zu Rate gezogen, um zu der griffigen Diagnose zu kommen: Da geht wirklich nichts mehr – trotzdem gute Besserung!
Folgende zwei Punkte wollen wir aber nicht so ohne weiteres durchgehen lassen: Da wird von den “Freien Radikalen” ein direkter Zusammenhang (“MG/Transformer/RL/RAZ”) konstruiert, der in zusammengestümperten Expertisen aus den verqualmten Hinterzimmern des BKA zu erwarten wäre. Aber nein, das, was Bullenlogik ist, findet nicht nur in der Denkübung greiser Rest-Autonomer statt, sondern bekommt in der Interim kommentarlos Zeilen spendiert. Da sind an diesem Punkte wohl ein paar Funken redaktioneller Verantwortung verglüht…
Unangenehm stößt zudem auf, wenn ein guter alter Genosse von uns für den eigenen schriftstellerischen Ausfluss funktionalisiert wird. Da reklamieren “freischwebende Radikale” in ihrer ergänzenden namentlichen Unterzeichnung Erich Mühsam für sich, offensichtlich ohne einen politisch-biografischen Blick in seinen Werdegang geworfen zu haben. Mühsam, der von der dogmatischen Anarcho-Fraktion u.a. aufgrund seiner differenzierten Haltung zur SU als “verkappter Bolschewik” (Pierre Ramus) tituliert wurde, darf als einer gelten, der z.B. durch seine Unterstützung von Kampagnen der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) nicht nur die “Frontverläufe” zwischen kommunistischem und anarchistischem Lager aufweichte, sondern auch durch seine unorthodoxe Auslegung anarcho-kommunistischer Positionen ein wichtiger politischer Bezugspunkt für die revolutionäre Linke ist. Wir als radikal-Kollektiv zählen uns mit Nachdruck zur Mühsam’schen Erbengemeinschaft. Um im Bilde zu bleiben: einen Erbfolgekrieg scheuen wir nicht…
Durch die von uns aufgelisteten Beispiele sollte erkennbar geworden sein, an welcher Stelle Debattenausläufer zum Stillstand der Diskussion um organisierte Militanz beitragen. Eines darf aber auch nicht unterschlagen werden: Statt die Entstehung der von Anfang an überzogenen und dann folgerichtig enttäuschten Erwartungen, also den Prozess der eigenen Aneignung und Anwendung “militanter Theorie” kritisch zu hinterfragen, wurden und werden diese Erwartungen von vielen der (ehemaligen) AktivistInnen unkritisch aufgefasst, und aus ihrer eigenen Desillusionierung auf das Scheitern jener Theorie geschlossen. Das und weiteres werden wir im folgenden Kapitel an verschiedenen Stellen versuchen deutlich zu machen.

Auf zu neuen alten Ufern!

Fangen wir mit einer Binsenweisheit an: Die Frage nach dem Wohin ist auch immer die Frage nach dem Woher. Die revolutionäre Linke mit ihren diversen Ärmchen und Ablegern vagabundiert nicht im luftleeren Raum, ohne Vorläufer und entsprechende Überlieferungen, so eigentümlich wir aus heutiger Sicht den einen oder anderen ideologischen Hintergrund finden mögen. Unkenntnis verbaut da jedes tiefergehende Verständnis von dem, was einmal war oder immer noch vorzufinden ist. Deshalb ist der Ausgangspunkt für ein Wohin immer die Zurückführung nach dem Woher.
Mit dem Woher ist in erster Linie die Frage akut, kein weiteres Mal Sinn und Zweck einer militanten Praxis nur punktuell und temporär diskutieren zu wollen. Es sind unserer Ansicht nach zwei wesentliche Erfahrungswerte aus der letzten Militanz-Debatte mitzunehmen: zum einen reduzierte sich Militanz nicht auf eine spezifische Praxisform, sondern sie wurde konzeptionell zu fassen versucht, d.h. als militante Politik ging sie weit darüber hinaus, nur ein um sich selbst drehendes Aktionsmittel zu sein. Zum anderen war im Zwischenergebnis deutlich geworden, dass selbst eine Konzeption militanter Politik, auch wenn sie wesentlich mehr Aspekte beinhaltete als die enge Vorstellung reiner militanter Praxis, zu beschränkt blieb. Die Konzeption militanter Politik musste unserer Ansicht nach ein elementarer Part innerhalb einer Organisierungsdebatte, die eine Etappe zu einer Organisationsdebatte ist, sein. Nur so lässt sich die organisierte Militanz im Rahmen eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses angemessen einordnen.
Wenn es an der Grundbedingung fehlt, die vormaligen Debattenanläufe um Fragen, Wirkungen und Grenzen organisierter Militanz zumindest in ihren Grundzügen zu kennen bzw. zur Kenntnis zu nehmen (wir haben einige Gründe benannt), dann muss hier Abhilfe geschaffen werden. Hier liegt der eigentliche (formale) Ansatzpunkt.
Um zu den neuen alten Ufern gelangen zu können, ist ein Sprung ins Zurückliegende erforderlich, um sich alles das heranzuholen, was für eine (Neu-)Bestimmung organisierter Militanz grundlegend ist. Somit verstehen wir diese “Recherchearbeit” als Wohl-oder-Übel-Beitrag zur Wiederaneignung der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken; einer Geschichte, die zum Teil noch sehr gegenwärtig sein sollte und gut zu ergreifen sein müsste.
Sich ein inhaltliches Rüstzeug für die eigene militante Praxis anzueignen, setzen wir als allgemein anerkannte Notwendigkeit voraus. Dazu gehören reflektierende Rückblicke. Eine fundierte Beschäftigung mit organisierter Militanz ist auch deswegen unumgänglich, weil die Bildung einer theoretisch-inhaltlichen Grundlage nicht einfach eine überhistorische Handlungsanleitung für die praktischen Eingriffe darstellt, zumal, wenn sich ändernde Bedingungen bspw. in der Wahl der Mittel niederschlagen sollen/müssen. Es ist ein extrem verkürztes Militanzverständnis, wenn die inhaltliche Grundlagenbeschaffung nur als ein dürftiger Nachtrag zur bereits durchgeführten militanten Aktion verstanden wird. Und außerdem führt der (demonstrative) Verzicht auf eine inhaltliche Reflexion mit hoher Wahrscheinlichkeit zu sich wiederholenden Fehlern mit möglicherweise unkalkulierbaren Folgewirkungen.
Wir halten es also für eine einsichtige Folgerung, mehrere Schritte zurückzugehen, um mit Rückenwind einen neuen Anlauf starten zu können. Dazu ist es allerdings notwendig, erst einmal inne zu halten und sich zu vergegenwärtigen, an welchem Punkt wir (erneut) ansetzen wollen/müssen, um mit einem größtmöglichen Wissen ausgestattet zu sein und einer fortgesetzten und weitergeführten Militanz-Debatte genügen zu können. Denn klar ist: Keine Debatte lässt sich ohne Vorlauf und Hintergrund einfach so proklamieren. Es muss nicht nur ein untergründiges Interesse an einer solchen geben; es muss auch ein vor-strukturierter Debattenrahmen vorgelegt werden. Zudem muss sich eine Moderation verbindlich zu Wort melden, damit das Projekt “Auf zu neuen alten Ufern!” nicht ins Uferlose ausbricht oder an der ersten Brandung zerschellt. Ungut ist uns in Erinnerung, dass sich während der vergangenen Militanz-Debatte eine Stimme erhob, die sich moderierend einbringen wollte; eine stumme Stimme, denn außer der Ankündigung folgte kein Laut. Zu einem moderierenden Einwurf gehört z.B., dass wache Augen darauf geworfen werden, ungebetene MitdiskutantInnen aus den Amtsstuben staatlicher Repressionsbehörden herauszufiltern und dass Texte, die in K-Gruppen-Manier andere Papiere in der Hauptsache niedermachen wollen, für den Reizwolf aussortiert werden. Versierte Polemik ist selbstredend willkommen und als literarisches Stilmittel immer in politischen Kontroversen angewandt worden. Damit haben wir kein Problem, wenn in die Tastatur die eine oder andere satirisch-sarkastische Passage eingegeben wird.
Also: Die Militanz-Debatte, die wir umfassend mit Organisierungsfragen verknüpfen wollen, soll eine strukturierte sein – was zunächst einmal nichts weiter heißt, als dass die in ihr getroffenen Aussagen in einer von anderen nachvollziehbaren und damit auch kritisierbaren Weise begründet werden. Insbesondere soll sie den Raum bereitstellen, um Leerstellen auszufüllen und verengte Blickwinkel weiten. Organisierte Militanz klandestiner Gruppenzusammenhänge ist im Gegensatz zu einem massenmilitanten Ausbruch, der wesentlich (aber bei weitem nicht nur!) aus spontanen Impulsen passiert, ein Ergebnis eines Verständigungs- und Austauschprozesses, der sich bspw. in einem entsprechenden Medium nachzeichnen lässt. Die nötige Kenntnis und Erkenntnis organisierter Militanz lässt sich allerdings ganz bestimmt nicht durch theoretische Arbeit gewinnen, da ist Praxistest um Praxistest erforderlich. Verkehrt ist es demzufolge, durch eine theoretisierte Diskussion in den Presseerzeugnissen der revolutionären Linken den Zeitpunkt und Zielort des Einsatzes organisierter Militanz herausfinden zu wollen. Es wird kein sich bildender klandestin-militanter Gruppenzusammenhang darum herum kommen, selbst in die Erfahrungswelt des Praktischen einzutauchen, um auszuloten, was geht und was nicht geht. Aber dennoch lassen sich praktische Irrläufer durch eine verkollektivierte inhaltliche Auseinandersetzung mittels eines publizistischen Forums korrigieren und abstellen.
Als Auftaktsituation der einzuleitenden Militanz- und Organisierungsdebatte halten wir uns ein Bündel Fragezeichen entgegen. Das ist zunächst einmal eine unsichere Ausgangsposition, denn wir hegen die Erwartung, dass wir zur Beantwortung der hinter den Zeichen wartenden Fragen beitragen, aber wir können das Ergebnis der Erwiderung unmöglich vorwegnehmen. Antwortsuche ist in der Regel anstrengend, da es nicht nur die besagte Kenntnis des Gegenstandes voraussetzt, sondern in so mancher Situation ist es unverhältnismäßig und unzureichend, nur mit Halbantworten aufwarten zu können. Positionslos zu sein, ist zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung ziemlich blöd.
Und noch was: Man hat seinen eigenen Denkinhalten von Zeit zu Zeit zwecks Überprüfung skeptisch gegenüber zu stehen. Es wäre eine fatale Tendenz, wenn man ihnen einen (unabänderlichen) Wirklichkeitswert verleihen würde. Also folgt auf eine Beantwortung wieder die Setzung des kleineren oder größeren Fragezeichens.
Aber zurück zudem, was es gilt, wieder ganz nah heranzuholen: Wenn wir einen konzentrierten Blick über unsere Schultern werfen, dann trifft dieser auf ein halbes Dutzend von Militanz-Debatten, die in den letzten beinahe zwei Dekaden (in Ansätzen) geführt wurden und mittendrin unerklärterweise versiegten: Wir blicken auf die hitzig geführte Diskussion um das Auftauchen der Gruppe, die sich nach der sog. RAF-Zäsur 1992 später als antiimperialistische zelle (aiz) bezeichnete. Diese Gruppierung ist durch zwei Umstände einigen im Gedächtnis geblieben: zum einen aufgrund ihrer Sprengstoffanschläge auf Wohn- und Arbeitsstätten zweit- und drittrangiger Politiker, und zum anderen dadurch, dass die zwei wegen aiz-Bezug Festgenommenen ihre Zuneigung zum politischen Islam entdeckten. Wir blicken auf die Aufarbeitung, die nach dem Desaster der GenossInnen vom K.O.M.I.T.E.E. Mitte der 90er Jahre unternommen wurde, als u.a. die Frage nach dem Abtauchen-müssen und dem Exil anstand. Wir blicken auf die anti-militaristischen und anti-patriarchalen militanten Aktionen der Flammenden Herzen, die sich beispielhaft gegen Kreiswehrersatzämter und die Verschickung junger Rekruten richteten. Wir blicken auf “innovative” militante Interventionen, die im Zuge der Diskussion um die Sabotage von Glasfaserkabeln oder Aktionen der Kommunikationsguerilla aufkamen. Das Zerschneiden von Glasfaserkabeln am Abschiebedrehkreuz Flughafen Frankfurt/M. und der ausführliche Anleitungskatalog für Kommunikationsguerilleros/-as im sog. Behle-Papier sind eventuell noch dem einen oder der anderen in (dunkler) Erinnerung. Ja, und dann blicken wir auf die militanten Initiativen im Stadtteilkampf von Klasse gegen Klasse (KgK), die sich bereits Anfang der 90er Jahre dem Thema der Umstrukturierung proletarischer Wohnquartiere auf sehr vielfältige Weise widmeten.
Auffallend an dieser Auswahl ist, dass es sich um Diskussionen handelt, die allesamt aus den 90er Jahren nach dem Ende von RAF und RZ stammen. Eine Extra-Erwähnung ist unserer Ansicht nach deshalb nicht nötig, weil die Auswirkungen der Selbstauflösungen/Selbstzersetzungen von RAF und RZ bei mehreren dieser Militanz-Debatten zum Teil einen unmittelbaren, zumindest aber mittelbaren Einfluss hatten. D.h., wenn es bspw. in einem Beitrag um die aiz geht, dann ist die aktive Endphase der RAF der zentrale Diskussionshintergrund. Wir halten aber offen, die Aufgabe und Zersetzung von RAF und RZ explizit in den Diskussionsprozess mit einzubeziehen.
Wir glauben nicht, dass wir diese Vorleistung überspringen können, um den Debattenverlauf von 2001 bis 2009 auch in seinen Nebensträngen wirklich ausreichend verstehen zu können. Vieles, was in der zu Ende gegangenen Militanz-Debatte ausgeführt wurde, ist ein Ergebnis der Debattenfragmente zuvor. Wir sehen nicht, wie wir mit einer Wegverkürzung dazu kommen können, den ganzen erforderlichen Debatteninhalt aufzunehmen. Und: Mangelnde Aktualität wird man vielen Elementen der zurückliegenden Militanz-Debatte allein deshalb nicht zum Verhängnis machen können, da diese das letzte Jahrzehnt der militanten Linken prägte, auch wenn ihr tatsächlicher Einfluss im einzelnen umstritten und schwer messbar sein dürfte. Der in diesem Jahrzehnt angesammelte Fundus von Diskussionsmaterial ist in den kommenden Ausgaben der radikal immer wieder re-aktualisiert.
Hierzu verhelfen wir uns mit einen simplen Trick, der eigentlich gar keiner ist: Hat man wenig bis keinerlei Vorkenntnisse, dann konzentriert man sich in der ersten Etappe auf die Grundlagentexte, die zum Verständnis der zurückliegenden Militanz-Debatte wesentlich sind. Erste Verständnisprobleme versucht man durch eine erneute, vertiefte Lektüre zu beseitigen, oder man stellt diese fürs Erste zurück, in der berechtigten Erwartung, dass sie sich folgend klären, wenn weitere Textstücke herangezogen werden. Das ist ein eher altbackenes textorientiertes Vorgehen, aber im Prinzip die erfolgversprechendste Methode, um sich Verständnisse zu erschließen. Wichtig ist dabei nicht nur der Inhalt der einzelnen Militanz-Debatten, sondern auch deren Aufbau. Denn üblicherweise sind eine Menge von Zwischenschritten unumgänglich, um den gewünschten Inhalt auch tatsächlich transportieren zu können.
Vor allem soll das auch ein Weg zur “Demokratisierung” innerhalb der Militanz-Debatte sein, wenn Mittel gesucht werden, um Kenntnisstände anzugleichen und den HauptinterpretatorInnen das Heft ein Stück weit aus der Hand zu nehmen. Dadurch lässt sich auch von anderen DiskutantInnen besser hinterfragen, ob bestimmte Auslegungen, die von bestimmten AkteurInnen der Militanz-Debatte gemacht wurden, angemessen und zutreffend sind. Man erhöht dabei die Beweislast bei denjenigen, die sich sonst viel zu salopp melden, ohne die Befürchtung haben zu müssen, dass nachgefragt wird, ob bspw. eine Kritik an einer entsprechenden Stelle überhaupt passt und etwas Sinnvolles aussagt. Es geht darum, möglichst präzise zu argumentieren und auf Weglassungen und Vorhaltungen zu verzichten. (Wie gesagt, Polemik an der richtigen Stelle kann nicht nur angebracht sein, sondern ist auch ein auflockerndes stilistisches Mittel in der gepflegten Unterhaltung) Auf dem Ding mit der Präzision reiten wir auch deshalb so herum, weil es sehr schwierig ist, halb-ausgeführte Hinweise, unterschwellige Andeutungen, die vermeintlich “klar” sind, zu diskutieren. Eine solche “Argumentation” ist aber als solche schon deshalb abzulehnen, weil sie vor Begründungen der eigenen Aussagen faktisch ausweicht und vieles mit der Aura der Spekulation umzieht.
Richtig ist zwar, dass die “VertreterInnen” der Militanz-Debatte(n) auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau argumentieren. Gerade deshalb müssen aber die Darstellungen  keineswegs abgehoben und bodenlos sein. Die relative Abstraktheit ergibt sich aus der Suche nach Kriterien für eine angewandte militante Politik, die nicht nur für ein, zwei Situationen Gültigkeit beanspruchen können, sondern in ihrem Kern verallgemeinerbar, früher sagte man, vermassbar sein sollen. Richtig ist aber auch, dass manche von denen, die ein paar Jahre zuvor nicht genug bekommen konnten von großen theoretischen Entwürfen in Sachen Militanz, einige Monde und Jahreszeiten später verkündeten, dass vieles bis alles nicht so gemeint war, wie es sich zeigte. Das ist im Einzelfall bestimmt nicht ganz abwegig. Aber, nicht selten begegnet uns die Figur des wissend-abgeklärten Alt-Militanten, der die zuvor verfochtene große Idee mit dem Gestus des Ernüchtert-Sein jetzt verwirft. In diese Phalanx werden wir uns mit Sicherheit nicht einreihen.
Break. In der kommenden Ausgabe wollen wir damit beginnen, eine der vergangenen Militanz-Debatten, die sich in dem besagten Zeitraum (1992 bis 2009) abspielte, vorzustellen und vor allem hinsichtlich mehrerer Fragestellungen zu reflektieren. Einige davon lauten z.B.:
Lässt sich ein Debattenauslöser festmachen?
Welche Resonanz hat der Auftaktbeitrag erfahren?
Kann von einer aufeinander aufbauenden und gegenseitig bezugnehmenden Debatte gesprochen werden?
An welchen (neuralgischen) Punkten entzündete sich die Kontroverse um organisierte Militanz besonders?
Wurden Ergebnisse bzw. Fragestellungen aus früheren Militanz-Debatten mit einbezogen?
Lässt sich eine “tragende Säule” der spezifischen Militanz-Debatte benennen, ohne die es zu keiner Fortsetzung gekommen wäre?
Kommen die miteinander Diskutierenden überwiegend oder gar allesamt aus der militanten Linken?
Wo finden sich Diskussionselemente, die über die Militanz-Frage hinausgehen und eine breitgefächerte Organisierungsdebatte anstoßen wollen?
Ab wann kam die Debatte zum Stillstand bzw., ab wann bewegte sie sich in einer (endlosen) Wiederholungsschleife?
Haben sich Diskussionsbeteiligte für einen Debattenabschluss eingesetzt, oder verlief sich der Austausch still&heimlich im Sande?
Dieser Fragekatalog ist lediglich ein vorläufiger, da er, was sich vermutlich zeigen wird, nicht als Schablone für alle früheren Militanz-Debatten verwendet werden kann. Da werden sich bestimmt sehr unterschiedliche Fragen, die nach Antworten verlangen, stellen. Aber zumindest berührt er einige wunde Punkte und offene Wunden, die nach verschiedenen Militanz-Debatten zurückgeblieben sind.
Wie dem auch sei: Dieses “Aufarbeitungsprojekt” scheint uns selbst sehr ambitioniert zu sein; die Gründe, warum es aus unserer Sicht für eine  (Neu-)Bestimmung militanter Politik im Kontext eines Organisierungsprozesses der revolutionären Linken unverzichtbar ist, haben wir versucht zu schildern. Jetzt müssen tragfähige Begründungen für ein Konzept organisierter Militanz als integraler Bestandteil eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses her…

Die Rolle der radikal im Organisierungsprozess

Wo ist der Raum für eine zielführende Diskussion um organisierte Militanz, die den Sprung in eine Organisierungsdebatte anstrebt? Die radikal sehen wir aufgrund ihrer spezifischen, u.a. klandestinen Konzeption als den pluralistisch-publizistischen Ort einer solchen Reflexion, Diskussion und Perspektiven-Entwicklung über die organisierte Militanz an. Die Erscheinungsintervalle der radikal helfen dabei, dass wir uns nicht einem Zeitdruckdiktat unterwerfen müssen, um bspw. in einem zwei- oder vierwöchigen Rhythmus Texte produzieren zu müssen, damit der Diskussionsfaden nicht abreißt. Und das sollte uns wiederum den Platz geben, über einzelne neuralgische Punkte genauer und eingehender zu “verhandeln”, damit das Diskutierte kollektiver in die Praxis eingehen und sich nach und nach ein struktureller Aufbau vollziehen kann.
Irrig scheint es uns, dass eine Debatte um organisierte Militanz erst dann möglich sein soll, wenn bedeutende Teile der revolutionären Linken bspw. in der radikal ihr selbstgeschaffenes Leitmedium sehen. Das hieße eine praktische Unmöglichkeit anerkennen, denn zur Organisierung aller Teil-Szenen und Gruppenstrukturen der revolutionären Linken ist kein noch so ehrgeiziges Projekt auf Sicht in der Lage (ob so etwas überhaupt “wünschenswert” wäre, steht vielleicht auf einem anderen Blatt). Das angeführte Problem der relativen Ungleichzeitigkeit lässt sich unseres Erachtens dann tendenziell beheben, wenn die erarbeiteten Textbeiträge eine inhaltliche Substanz/Stringenz aufweisen und vorzugsweise keine reinen  konsumistischen Abfallprodukte sind.
Welche Aufgabe fällt in diesem Austausch- und Verständigungsprozess innerhalb der heterogenen revolutionären Linken nun der radikal zu? Diese Frage ist in der radikal nicht neu. In früheren radikal-Zusammenhängen entzündete sich darüber ein interner Konflikt, der später in der Nr. 155 vom Mai 1998 für die (Szene-)Öffentlichkeit dargestellt wurde: “Versteht sich die radikal primär als Teil einer (zu entwickelnden) militanten Struktur, in der die zentrale Frage die der militanten Organisierung gewesen wäre (…) Auf der anderen Seite verstärkte sich bei einigen zunehmend eine Position, die die radikal primär unter dem Aspekt des ‘unzensierten Mediums’ betrachtet hat”. In der Zuspitzung hieß das, zu klären, ob die radikal ein klandestiner Ort ist, aus dem heraus auch militant agiert werden kann, oder, ob sich die Publikation (ausschließlich) als ein zensurfreier medialer Raum versteht. Diese konzeptionellen Orientierungen wurden zum damaligen Zeitpunkt relativ unversöhnlich gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung scheint uns mit heutigem Blick etwas künstlich zu sein. Ein Zeitungsformat, auch wenn es unter konspirativen Bedingungen hergestellt und vertrieben wird, kann für sich genommen keine militante Struktur sein bzw. diese ersetzen. Aber eine militante Struktur braucht eine Möglichkeit, die eigene Politik zensurfrei und authentisch zu veröffentlichen. Hierfür ist ein Medium wie die radikal “vorherbestimmt”. Demnach kann eine derart konzipierte Zeitung ein zentraler Faktor im Rahmen organisierter Militanz sein, wenn bspw. die einzelnen klandestin-militanten Aktionen über ein Medium vermittelt werden sollen. Diese Bedeutung verstärkt sich dann, wenn neben einer Print- auch eine online-Ausgabe eingerichtet wird.
Diese Auseinandersetzung hat auch uns in einem etwas anderen Sinne beschäftigt, als wir uns um den Charakter der “Tarnkappen”-radikal herum Fragen stellten. Die ersten Ergebnisse findet ihr ebenfalls in diesem Heft unter dem Titel “Das ‘Konzept klandestine Zeitung’ – Zur Neugestaltung der radikal”. Darin haben wir u.a. ausführlich dargelegt, dass die radikal als publizistisches Forum im Rahmen des Strukturaufbaus der revolutionären Linken eine zentrale Rolle als “kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator” sowie “literarischer Freischärler” spielt. In dieser Publikation der revolutionären Linken sollen – im Idealfall – die Diskussionsstränge zusammenlaufen und weitergeknüpft werden.
Die radikal soll ein Garant dafür sein, dass der Sprung von einer allseits begrenzten Militanz-Debatte in die Organisierungsdebatte vollbracht werden kann. Und dieser Sprung ist vor allem auch geografisch zu verstehen. Die radikal ist nach wie vor das einzige klandestine Blatt, das mit einer bundesweiten Bedeutung in den gesamten deutschsprachigen Raum ausstrahlt – z.T. noch darüber hinaus. Das scheint uns eine günstige Ausgangsbedingung zu sein, um die lokalen Diskussions- und damit potentiellen Organisierungsgrenzen zu sprengen, in denen sich “traditionsgemäß” andere Zeitungen aus dem Spektrum der revolutionären Linken bewegen.
Mit einer ins Auge gefassten Organisierungsdebatte greifen wir darüber hinaus  (weit) zurückliegende Kontroversen über organisierte/organisatorische Strukturen, die sich wesentlich in der radikal niedergeschlagen haben, auf. Wir beziehen uns dabei z.B. auf die von der damaligen Autonomen Antifa (M) aus Göttingen initiierten Debatte, die sie mit einem Papier zu Organisierungs-/Organisationsfragen im Zusammenhang mit dem Aufbau der Antifaschistischen Organisation/Bundesweite Organisation (AA/BO) prägte. Das ist beinahe 20 Jahre her. Die Nachfolgegruppen der einzelnen AA/BO-Gruppen agieren z.T. heute noch, in der Regel mit deutlich geringerem Personal und, wie im Falle von Göttingen, zersplittert.
Die Ergebnisse dieses (implodierten) Organisierungsansatzes der AA/BO sind für uns als radikal-HerausgeberInnenkollektiv deshalb von großem Interesse, weil sich hier einerseits die von Beginn an vorgetragene Kritik und andererseits die Entwicklungen einer zeitweisen bundesweiten Ausdehnung einer linksradikalen Struktur widerspiegeln lassen. Da ist eine ganze Menge Erfahrungsschatz drin, der ähnlich wie hinsichtlich des “antiimperialistischen Frontprozesses” Mitte/Ende der 80er Jahre zur Abholung und Reflexion bereitliegt. Wir können diese gemachten Erfahrungen und vielfach gesammelten Eindrücke nicht einfach links liegen lassen.
Das in jener Zeit existierende radikal-Kollektiv (Nr. 146, November 1992) hat während der ersten Phase der “AA/BO-Debatte” versucht, einseitiger und diffamierender Kritik entgegenzuwirken, in dem es zu einer “Versachlichung” der Debatte drängte: “Allerdings beschleicht uns zunehmend das Gefühl, daß auch Schablonen gezückt werden (“der übliche Versuch, kommunistische Organisationsmodelle in die autonome Szene zu tragen”) und daß z.T. mehr nach Unvereinbarkeiten als nach Gemeinsamkeiten gesucht wird. Es ist relativ einfach, den Daumen auf die Schwachstellen anderer zu legen, statt selber etwas Konstruktives in die Diskussion einzubringen”.
In der selben redaktionellen Stellungnahme verwiesen “einige radis” auf die üblicherweise einsetzenden “autonomen Konter”, wenn es um die Organisierungskonzepte geht: “Für uns stellt es sich so dar, daß die Leute von der Antifa (M) sich (mit ihrer provokanten, aber konkreten Argumentation und ihrer offensiven Praxis) bewußt mit autonomen Konventionen anlegen, sie versuchen Neues zu entwickeln, leiern an, sind initiativ. Diese Rangehensweise rückt sie automatisch ins Fadenkreuz autonomer Beobachtung, macht sie angreifbar; was sie selber tragen müssen, wenn sie vorgeben, Konzepte zu haben; was aber auch bei der Kritik von weiter hinter den Kulissen berücksichtigt werden muß”.
Wir sprechen die vor 20 Jahren stattgefundene Organisierungsdebatte deshalb etwas ausführlicher an, weil wir eine Wiederholungsgefahr sehen, wenn Initiativen des revolutionären Aufbaus mit Leerformeln und Floskeln entgegengearbeitet wird. Die Spuren von Schnittmengen, Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten lassen sich so nur schwerst  “ermitteln”.
Um eine “Strategie- und Organisationsdebatte” innerhalb der (revolutionären) Linken entdecken zu wollen, müssen gar nicht so große Zeitsprünge nach hinten gemacht werden, so könnte jedenfalls ein (berechtigter) Einwand lauten. Mitte vergangenen Jahres hat sich in und um die Interventionistische Linke (IL) im Rahmen der IL-Arbeitskonferenz “Die K-Frage stellen” eine Diskussion entsponnen, wie sich ein anvisierter “pluraler Linksradikalismus” in einer “breiteren pluralen Linken” verankern könnte. Auch auf diese Diskussionsstränge werden wir in den nächsten radikal-Nummern eingehen, um nicht nur den dortigen Stand der Auseinandersetzung zu dokumentieren, sondern vor allem, um die potentiellen Diskrepanzen zu einem Projekt wie der Revolutionären Linken (RL)  erkennen und kennzeichnen zu können.
Dieser erste Text von uns zu diesem arg verzweigten Themenfeld der Organisierung weist sicherlich kleinere und größere Lücken auf: Das dürfte bei einem Auftaktversuch auch kaum zu umgehen sein. Dennoch ist er bestimmt kein reiner Lückentext, der es absichtsvoll da auseinderklaffen lässt, wo Inhalt hineingehört hätte. Wir werden für unseren Teil jedenfalls die Portionen an Verantwortung übernehmen, die sich für uns als MacherInnen der radikal – publikation der revolutionären linken ergeben.
Die Grundsteinlegung soll einerseits durch die Heranführung der vergangenen Militanz-Debatten vollzogen werden. Dies vor allem auch, um, wie gesagt, die abgelaufene Militanz-Debatte in ihren einzelnen Vorannahmen besser verstehen und “packen” zu können. Mit der Veröffentlichung des (RL-)Grundlagentextes wollen wir den Übergang zu einer Organisierungsdebatte einleiten, und zwar so einleiten, dass dieser ebenfalls als Beginn einer vertieften Auseinandersetzungen um Mittel, Formen, Inhalte und Ausrichtungen revolutionärer Politik in der BRD verstanden wird. Dieser Beitrag ist vor allem auch deshalb wichtig, weil hiermit der erste ausgearbeitete Versuch einer Standortbestimmung als Revolutionäre Linke (RL) vorliegt. Mit dieser politischen Selbstverständigung als (RL) machen wir eine Zusatz-Diskussion um die Schaffung neu-organisatorischer informeller Strukturen als Teil der heterogenen revolutionären Linken auf; eine Diskussion um die inhaltliche Positionierung, den Aktionsradius und die strukturelle Verbreiterung von Offensivorganisationen, die  nichts anderes im Sinn haben als im Verlauf des komplexen revolutionären Aufbauprozesses alle herrschenden Verhältnisse umzuwerfen, kein Stein über dem andern zu lassen.

radikal-Redaktion

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