Wir wollen in der radikal ab den folgenden Nummern jeweils auf einigen Seiten Buch- und Broschürenbesprechungen Platz und Raum geben. Dabei werden wir insbesondere (Neu-)Veröffentlichungen vorstellen, die sich um den gesamten thematischen Komplex “Widerstand, Aufstand, Revolution” drehen. Wenn es uns und den EinsenderInnen von Rezensionen zweckmäßig erscheinen sollte, dann spricht auch gar nichts dagegen, Titel auszuwählen, die vielleicht bereits seit mehreren Jahren vergriffen sind und nur noch, falls überhaupt, antiquarisch für viel Geld zu bekommen sind.
Außerdem wollen wir damit einen kleinen Impuls geben, dass die eigenständige Lektüre und das kollektive diskutieren darüber unersetzbar sind, wenn wir uns nicht von den MeinungsmacherInnen der bourgeoisen Presselandschaft etwas vormachen lassen wollen.
Da wir uns kurzfristig dazu entschieden haben, in dieser radikal-Ausgabe einen Militanzdebatten-Schwerpunkt einzuschieben, passt diese Broschüren-Besprechung zum Schwerpunkt.
“Bauwas! Wenn’s gut werden muss”…
Unter diesem abgewandelten Titel einer Baumarktkette liegt seit einigen Wochen ein Jahresrückblick zu einem Großteil in der Regel klandestin-militanter Aktivitäten vor, der den letztjährigen Zeitraum umfasst. Es ist eine stattliche Summe von strafrechtlich relevanten Nacht- und Nebel-Aktionen Monat für Monat aus dem Jahr 2009 dokumentiert, die die Bandbreite einer solchen alternativen Freizeitbeschäftigung aufzeigen.
Diese Zusammenstellung basiert auf den Eintragungen, die auf der Homepage http://www.directactionde.ucrony.net regelmäßig zu finden sind. Diese Webside hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren als wichtiger “Schaukasten” des militanten Flügels der revolutionären Linken etabliert; ein Klick, und eine Vielzahl von zeitnah zurückliegenden Farb- und Brandanschlägen sowie massenmilitanten Riots aus den Städten und Regionen der BRD sind anhand von Pressmeldungen, Fotomaterial sowie Bekenner(kurz-)schreiben festgehalten. Letztere sind unterproportional, entweder, weil die AkteurInnen keine schriftlicher Erklärung folgen bzw. vor Ort ließen, oder, weil diese Internetseite nicht als Forum einer Veröffentlichung einer Aktionsbekennung genutzt wurde.
Die MacherInnen dieser Broschüre schreiben in einem vorangestellten Einleitungsbeitrag zum Sinn&Zweck derselben: “Der Nutzen dieser Broschüre soll also darin liegen, alles auf einen Blick in den Händen zu halten”. Zwar hat diese Broschüre “Aktionslücken”, da sich beim besten Willen nicht alle militanten Aktionen bundesweit registrieren lassen, doch liefert diese Zusammenstellung eine kompakte Übersicht und macht es möglich, auch über eine Printausgabe Interessierten einen zusätzlichen Einblick in die militante Szenerie zu verschaffen.
Der Hauptgewinn der Broschüre liegt zweifellos darin, dass sie quasi das “Material” zur Verfügung stellt, um Entwicklungen, Ausrichtungen und Schwerpunkte militanter Aktivitäten nachzeichnen zu können; wahrlich eine wichtige Quelle, um zu recherchieren. Z.B. ließe sich herausarbeiten, inwiefern diese Aktivitäten entweder im Rahmen einer mehrgleisigen Kampagne stattfanden, diese “flankierten”; und vor allem, wie diese zu oder abnahmen, je nachdem, wie sich die punktuelle/thematisch übergreifende Kampagne “konjunkturell” entwickelte. Interessant wäre darüber hinaus herauszufiltern, welche militanten Aktionen durch eine “Fanalisierung” ein Themenfeld auch militant zu entfachen versuchten. Eine solche Vorgehensweise wäre ein Beitrag, organisierte Militanz als eigenständigen Faktor im Zusammenhang mit einem komplexen revolutionären Aufbauprozess zu definieren.
“Denkanstöße” der Broschüre sehen wir des weiteren in dem Punkt, Militanz sozusagen zu veralltäglichen, sie aus dem Dunklen der Nacht in den hellen Tag zu holen. Beispiele (unangemeldete Spontan-Demos, Mob-Actions, “out of control”) werden aufgezählt, die durch praktische Erfahrungen eine größere Breitenwirkung entfalten können und vor allem aufzeigen, dass sich die nächtlichen Streifzüge, so sehr sie Teil einer umfassender verstandenen militanten Politik sind, innerhalb von bestimmten Grenzen bewegen werden. Dennoch liegen die Broschüren-MacherInnen unserer Meinung nach richtig, wenn sie betonen, dass militante Initiativen (nach Sonnenuntergang), die sich zu einer militanten Kampagnen verdichten, eine Methode sind, die “Verwundbarkeit” der vermeintlich unverwundbaren VerfechterInnen dieser herrschenden Ordnung aufzuzeigen. Hierin liegt durchaus ein Moment der Freisetzung von Kräften, wenn eine Wirkung unsererseits erkennbar erzeugt werden kann.
… und lege Fundamente, wenn’s stabil sein soll!
Wir sehen in dieser Broschüre, und das sei nochmals ausdrücklich anerkannt, eine Grundsteinlegung dahingehend, dass nun eine Recherchequelle vorliegt, mit der gerade in ihrer papiernen Form gut gearbeitet werden kann.
Dieses Licht wird allerdings durch dicke graue Schleier und dichten Schattenwurf überlagert. Statt einen in mehrfacher Hinsicht dürftigen Einleitungsbeitrag, der als ein Debattenaufruf gelesen werden soll, zu schreiben (“Einmal mehr also der Aufruf schriftlich zu diskutieren, sodass möglichst viele Menschen auch daran teilnehmen können”.), wäre es sinnfälliger gewesen, das vorgelegte Material zumindest an zwei, drei ausgewählten Punkten auszuwerten und auf dieser Basis als Diskussionsbeitrag einzuwerfen. Das unterbleibt leider.
In den einzelnen Kapiteln des einleitenden Broschürentextes wird ein Sammelsurium aus teilweisen Fragestellungen, Anmerkungen und Deutungen präsentiert, ohne aus der Stichwortnotiererei herauszukommen.
Hätten sich die AutorInnen dieses Beitrags darauf konzentriert, eine Fragestellung konkret herauszugreifen und anhand des selbst zusammengetragenen Materials unter die Lupe zu nehmen, hätte dies nicht nur eine “Abarbeitung” eines Aspektes von organisierter Militanz bedeuten können, sondern dieser hätte auch eine Lücke bisheriger Militanzdebattenversuche aufzeigen und versuchsweise schließen können. So bleibt der fade Beigeschmack, dass sich die BeitragsschreiberInnen offenkundig unkundig ans Werk gemacht und unverbunden zu dem, was seit Jahren/Jahrzehnten inhaltlich zum Komplex Militanz vorliegt, “einmal mehr einen Aufruf” ausgesprochen haben.
Die Problemschaffung beginnt bspw. damit, dass nicht klar wird, mit welchem Militanz-Begriff “operiert” wird, einerseits wird Militanz auf eine einfache Praxisform heruntergebrochen, obwohl es in der vergangenen Militanzdebatte (2001-2009) eine papierreiche Diskussion darüber gegeben hat, nicht nur den Akt zu sehen, sondern Militanz als ein “Politikum” zu konzipieren. Dazu gehört eine inhaltliche Unterfütterung klandestin-militanter Aktionen ebenso, wie eine organisatorische Strukturbildung, die nach Möglichkeit zu einer gruppenübergreifenden Vernetzung ausbaufähig sein sollte. Andererseits wird es verwirrend, wenn eine “direkte Aktion” offensichtlich synonym zur “militante Praxis” gebraucht wird. Die “direkte Aktion” ist eigentlich eine begriffliche Bezeichnung aus dem anarcho-syndikalistischen Spektrum für Aktivitäten im Rahmen eines sozialen Generalstreiks. Wie sich beide zueinander verhalten, kann durchaus spannend sein; dazu dürften diese Typen aber nicht zusammengeworfen, sondern müssten definiert werden, damit sie in ein Verhältnis zu setzen sind.
In dieser besagten Militanzdebatte gibt es zudem ernstzunehmende Ausführungen, Militanz im Rahmen eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses nicht mit einer “strategischen” Komponente zu überlasten, die sie aufgrund ihrer “immanent angelegten Begrenztheit” nicht erfüllen kann; von daher kann es kein “Strategieverlust” einer “militanten Praxis” geben. In mehreren Papieren der (mg), aber auch der sog. MAG-APO, der Militanten Antiimperialistischen Gruppe – Aktionszelle Pierre Overney, ist diese Frage behandelt worden, ab wann eine organisierte Militanz eine taktische Funktion erfüllen kann.
Ganz dünn wird es dann im Kapitelchen zur Militanzdebatte. Da wird ein Sterbevorgang attestiert, ohne auch nur ein Wort über die umfangreichen inhaltlichen Vorarbeiten für einen erneuten Debatteneinstieg anzureißen oder zu diskutieren. Unberücksichtigt bleibt auch, dass in dem (mg)-Text “‘Militanz ohne Organisation ist wie Suppe ohne Salz’ – Abschlussworte zur Militanzdebatte”, der in der radikal 161 veröffentlicht wurde, eine Reihe von Passagen vorliegen, in denen sich mit dem Auftakt, Verlauf und Ende dieser Militanzdebatte intensiv und anhand von Stellungnahmen der sog. freien radikale beschäftigt wird.
Vor allem ist bemerkenswert, dass diese Militanzdebatte durch diesen (mg-)Beitrag zu einem (vorläufigen) Endpunkt gekommen ist. Die Militanzdebatte, die so dynamisch 2001/2002 begann, Längen und das eine oder andere Zwischentief zu überstehen hatte, lag in den Jahren 2007-2009 auf dem Totenbett, fürwahr. In allen Militanzdebatten zuvor, wenn wir einmal die Selbstauflösung des K.O.M.I.T.E.E. Mitte der 90er Jahre beiseite lassen, gelang es keiner Gruppe, eine Debatte abschließend zu kommentieren und (Teil-)Ergebnisse festzuhalten, an denen eine Fortsetzung oder Wiederaufnahme anschließen kann. (Nur zur Kennzeichnung: wenn wir Militanzdebatten anführen, dann meinen wir jene, die nach der Implosion der RZ und der RAF-Zäsur Anfang der 90er Jahre angestoßen wurden)
An einer anderen Stelle des Broschüren-Auftakttextes zu Militanzdebatten ist es nicht nur dünn, sondern krass sinnentstellend, wenn es heißt: “Bei allen Diskussionen und dem Auftreten verschiedener Gruppen in den letzten Jahren finden wir es nicht von allzu großem Wert, auf Namen und Labels zu setzen, wie es die mg gemacht hat, wenn es uns eigentlich um die Kontinuität einer Debatte und einen kollektiven Prozess geht, in dem wir unsere Analysen und Praxen voranbringen wollen”. Sinnentstellend ist dieser zitierte Auszug deshalb, weil suggeriert wird, als ob es den GenossInnen der ehemaligen (mg) darum gegangen wäre, einen festen Gruppennamen einer Debattenkontinuität oder einer Kollektivierung von Wissen und Aktion entgegenzustellen. Das ist schlicht und ergreifend an den Haaren herbeigezogen. Wenn es in den letzten 20 Jahren einen klandestin-militanten Gruppenzusammenhang gegeben haben mag, der sich namentlich (!) der Debattenkontinuität verschrien, durch eine begleitende Praxis ausgezeichnet und sich für eine Strukturbildung in der revolutionären Linken eingesetzt hat, dann darf das der (mg) zugute gehalten werden, freilich müssen dazu die Scheuklappen abgelegt werden, sonst bleibt dieser nüchterne Sachverhalt ungesehen. Und wenn eine Problematisierung einer (kontinuierlichen) Namensgebung eingesetzt hat, die nicht nur abstrakt, sondern konkret auf eine Gruppierung des klandestin-militanten Sektors der revolutionären Linken zurückzuführen ist, dann kommen wir nicht umhin, wiederum die (mg) im Munde zu führen. Diese Problematisierung ging soweit, dass nicht nur das “Label” infrage gestellt, sondern auch diskutiert wurde, inwiefern ein “technisch” wirkender Namenszug, wie es anhand der Bezeichnung “militante gruppe (mg)” durchexerziert werden konnte, einen “Inhalt von Vision” transportieren kann.
Als Grundproblem dieses Einführungstextes und nicht weniger anderer Texte, die im Rahmen von Militanzdebatten formuliert und erschienen sind, sehen wir, dass nicht nur falsche Ergebnisse produziert werden, die im Laufe der Debatte korrigiert werden könnten. Das wäre dann der normale Gang eines sich selbst-korrigierenden Debattenverlaufs. Nein, wir müssen gar das Fehlen von Fragestellungen feststellen, die aus früheren Debattenanläufen zu Voraussetzungen und Umsetzungen militanter Politik hätten gewonnen werden können/müssen. Damit ist bereits die Ausgangssituation schief.
Zu diesem Grundproblem gesellt sich unserer Ansicht nach auch der selektive Milieu-Blick. Es ist schlechterdings unmöglich, breitere Kreise für eine Debatte um organisierte Militanz zu erreichen, wenn nicht einmal das weite Spektrum der revolutionären Linken erfasst werden kann, wenn systematisch (bewusst oder unbewusst, wissentlich oder unwissentlich) Erfahrungswerte weggelassen werden. Wir meinen bspw. damit, dass neben der “anarchistischen, autonomen Szene” (wobei das autonome Milieu auch immer ein kommunistisches Segment hatte) ebenso andere Polit-Strukturen darangingen, Kommunikationsmittel zu entwerfen, um sich über den Tellerrand des eigenen politischen Nahbereichs Gehör zu verschaffen. Während des “Frontprozesses” Mitte der 80er Jahre, der nach wie vor
eine Vorlage für eine Verzahnung von Basisbewegungen, militanten Initiativen und den Interventionen der Metropolenguerilla ist, wurde aus der RAF-nahen antiimperialistischen Szene die Zeitschrift “zusammen kämpfen” hergestellt und breit vertrieben. Der “Revolutionäre Zorn” der RZ ist vielleicht noch hie und da etwas prominenter in Erinnerung geblieben.
Damit wollen wir nur sagen und prognostizieren, falls es nicht einmal gelingt, Gründe lassen wir hier dahingestellt, die Debatten antagonistischer Politik der revolutionären Linken in der BRD einzufangen, jeder Startversuch als Fehlstart nach den ersten paar Metern zurückgepfiffen werden muss. Ja, und deshalb heißt es sooft: Zurück in den Startblock! Wir werden im Gegensatz dazu, die radikal als Forum für die Schattierungen der revolutionären Linken insgesamt öffnen und offen halten.
Was bleibt? Dieser Einleitungsbeitrag der Doku-Broschüre wirft auch deshalb einen so langen dunklen Schatten, weil er sich so nahtlos in all die anderen Wiederbelebungsversuche einer Militanzdebatte einfügt, was verdammt schade ist. Mit dieser Skizzenbeschreibung für das Projekt “Bauwas!” wird’s auf jeden Fall eine äußerst wacklige Angelegenheit, die Statik stimmt halt nicht.
Wie dem auch sei, da wir den dokumentarischen Wert und den Erstellungsaufwand dieser “Bauwas”-Broschüre nicht kleinreden wollen, verweisen wir nochmals gerne auf die oben erwähnte Internetadresse; von dort kann diese Broschüre als pdf heruntergeladen werden.
Wir haben uns als HerausgeberInnenkollekitv der radikal auf der Basis der bisherigen Militanzdebatten, die oft, wie wir leidlich erfahren haben, im Versuch bzw. während ihres Verlaufs steckengeblieben waren, einige Gedanken gemacht, wie sich eine Diskussion und Auseinandersetzung um Fragen&Antworten organisierter Militanz (vor-)strukturieren lässt. Lest dazu unseren Beitrag “Über die Widerhaken einer fortgesetzten Fortsetzung der Militanz-Debatte – oder wie ist der Sprung in eine Organisierungsdebatte zu vollbringen?”
radikal-Redaktion