Zur revolutionären Organisation heranwachsen

Text III der Reihe “Für ein revolutionäres Leben”

Wir setzen mit diesem Beitrag unsere Reihe fort, die uns Eckpunkte verdeutlichen und Zwischenfazits hinsichtlich unserer subjektiven Weiterentwicklung liefern soll. Auch dieser Beitrag soll unsere Entwicklung angemessen reflektieren und Formulierungen treffen, welche als Lösungsansätze im Hinblick auf teils akute und teils permanente Probleme dienen sollen.
In der letzten Ausgabe der radikal kündigten wir an, auf das Thema “Kritik und Selbskritik” und den “Verhaltenskodex” für uns als (RL) eingehen zu wollen. Auch dieses Themenfeld kann nur unter Berücksichtigung unseres aktuellen Entwicklungsstandes, der erkannten Schwierigkeiten, der objektiven Gegebenheiten und der informellen/klandestinen Organisierungsform geschehen. Mitunter deswegen werden wir diesen Beitrag nicht auf die angekündigten Themenfelder reduzieren können, sondern im Kontext mit aktuellen Fragestellungen behandeln müssen. Und um Lösungsansätze formulieren zu können, müssen immer zunächst die Probleme richtig erkannt werden.

Reflexion, Bilanz, lösungsorientierte Praxis…

Eine lösungsorientierte Praxis kann sich nur entwickeln, wenn die Probleme erkannt werden. Dazu ist es nicht nur hilfreich, sondern unerlässlich die gemachten Erfahrungen im Kollektiv regelmäßig zu reflektieren. Erst in diesen gemeinsamen Diskussionen können sowohl die negativen als auch die positiven Ergebnisse kollektiv erkannt werden. Eine von möglichst allen Seiten her reflektierte Bilanz der Praxis und Entwicklung ist nur auf diese Weise möglich. Nur mit kollektiv durchgeführter Reflexion und gezielten Nachbereitungen unter Berücksichtigung der Erfahrungen lassen sich alle weiteren Schritte angemessen herleiten. Ohne diese versiegen gemachte Erfahrungen, seien sie positiv oder negativ. Dies bedeutet nicht nur, dass gemachte Fehler wiederholt werden und kontinuierliche Erfolge ausbleiben, sondern es bedeutet, dass letzlich der Spontaneismus dominiert.
Um dieser Problemstellung angesichts einer möglichst landesweiten Organisierung angemessen begegnen zu können, ist es notwendig, alle Strukturen innerhalb der (RL) dem Koordinierungsrat unterzuordnen. Da wir einen reinen Zentralismus ablehnen, ist eine akzeptable Synthese aus demokratischem Zentralismus und basisdemokratischem Verständnis auszuarbeiten, welche in unseren Augen eine logische Folgerung ist, um einerseits Vorschlägen und Meinungen aus unserer Basis ausreichend Raum und Reflexion zu bieten und andererseits die daraus resultierenden Ergebnisse wieder gezielt zurückzuleiten und für deren Umsetzung Sorge zu tragen. Die Problematisierung dieser Frage, wie sie unter Punkt 5 des RL-Grundsatzpapiers erfolgt, liefert unsere aktuellen Lösungsansätze: “Einerseits ist Verbindlichkeit, Einheitlichkeit und paralleles Vorgehen ohne Schnellschüsse zwingend für die Existenz der einzelnen Strukturteile eines Aufbauprozesses, d.h. ein Demokratischer Zentralismus ist zu etablieren. Andererseits geben die konkreten Bedingungen vor Ort bestimmte Entscheidungen vor, deren Nicht-Treffen für unseren Aufbauprozess schädlicher sind als deren Umsetzung. D.h die Zellen des Gruppenzusammenhangs (RL) verfügen über einen (im Einzelfall näher zu definierenden) Autonomiegrad in ihrem Tun und Lassen vor Ort.”

… und die gewichtige Rolle von Kritik und Selbstkritik

Wir schrieben in unserem ersten Text dieser Reihe, dass “(…) die Anwendung von Kritik und Selbstkritik, ohne die sowohl Erfolge als auch Misserfolge unhinterfragt blieben, für eine Analyse und Nachbereitung unserer getätigten Arbeit von immenser Bedeutung (…)” ist. Weiter hieß es: “Nur durch die ständige Reflexion der Praxis des einzelnen Kaders und der Praxis des gemeinsamen Organisierungsprozesses im Generellen ist eine Entwicklung und ein bewusstes Vorankommen möglich.”
Vertiefend dazu ist anzumerken, dass weder Kritik noch Selbstkritik für sich alleine stehen können. Prinzipiell hat Kritik in unserem Kontext eine konstruktive Qualität. Das bedeutet, sie wird nicht angebracht der Kritik wegen als Selbstzweck, sondern mit der Perspektive, Verbesserungen zu erwirken. Kritik und Selbstkritik als eine elementare Methodik in einem Organisierungsprozess können nur gemeinsam wirksam sein. In diesem Sinne dient die Kritik dazu, kollektiv und konstruktiv auf Mängel und Fehler hinsichtlich der Praxis und der Organisierung aufmerksam zu machen. Doch erst die darauf folgende Selbstkritik, die sich von der Kritik abzuleiten hat, kann es uns ermöglichen, die praktischen Ansätze zur Überwindung der Probleme zu formulieren. Das Fehlen der Fähigkeit zur Selbstkritik kommt einer Aufrechterhaltung des Status Quo gleich. Es bezeichnet einen Zustand der inneren Stagnation, den fehlenden Willen, sich den Entwicklungen und Erfordernissen anzupassen. Da erst die Anwendung dieser Methodik eine kritische Reflexion ermöglicht, ist daraus das Fazit zu ziehen, dass Kritik und Selbstkritik unverzichtbar sind, um einem kontinuierlichen Organisierungsprozess gerecht zu werden.
Zur weiteren Vertiefung zitieren wir aus George Lukascs Schrift “Methodisches zur Organisationsfrage”, um die Bedeutung des möglichst kollektiven, reflektierten und analytischen Vorgehens im organisatorischen Kontext zu unterstreichen: “Die Anschauung von der abstrakten ‘Notwendigkeit’ des Geschehens führt zum Fatalismus; die bloße Annahme, dass ‘Fehler’ oder Geschicklichkeit Einzelner das Gelingen oder Versagen verursacht haben, kann wiederum für das kommende Handeln keine entscheidend fruchtbaren Lehren bieten. (…) Wird aber diese Frage über das bloß Einzelne und Zufällige hinausgetrieben, wird in dem richtigen oder fehlerhaften Handeln einzelner Personen zwar eine mitbestimmende Ursache des ganzen Komplexes erblickt, aber darüber hinaus der Grund untersucht, welche die objektiven Möglichkeiten ihres Handelns und die objektiven Möglichkeiten der Tatsache waren, dass gerade diese Personen auf diesen Posten standen usw. – so ist die Frage bereits wieder organisatorisch gestellt. Denn in diesem Falle wird die Einheit, die die Handelnden miteinander in ihrer Aktion verknüpft hat, bereits, als objektive Einheit des Handelns, auf ihre Tauglichkeit für dieses bestimmte Handeln untersucht; es wird die Frage gestellt, ob die organisatorischen Mittel des Umsetzens der Theorie in die Praxis die richtigen gewesen sind.”
Wir können daraus auch den nüchternen Schluss ziehen, dass jede Phase unserer Arbeit, die keiner kritischen Reflexion unterzogen wurde, da Kritk nicht erfolgte bzw. auf die Kritik keine Selbstkritik folgte oder aus der Selbstkritik keine Konsequenzen gezogen wurden, nicht optimal nachbereitet wurde. Denn für eine angemessene Umsetzung der Konsequenzen sind die genannten Schritte notwendig.

Lernen, mit Kritik und Selbstkritik umzugehen

Der erste Schritt, angemessene Kritik bzw. Selbstkritik üben zu können, besteht darin, die Interessen der Organisierung an die vorderste Stelle zu tun. Die weiteren Schritte leiten sich davon ab und hängen unmittelbar mit der Weiterentwicklung der revolutionären Identität zusammen. Denn, wie oben bereits erläutert, sollen Kritik und Selbstkritik dazu dienen, einen kontinuierlichen Organisierungsprozess abzusichern. Nicht dazu, Genossinnen und Genossen persönlich anzugreifen oder zu diskreditieren. Aber warum kommt es dann immer wieder vor, dass Kritik nicht angebracht bzw. angebrachte Kritik missverstanden wird?
Ein Grund ist der Selbstprofilierungsdrang: Eine Eigenschaft, die wir uns nicht zu eigen machen wollen und konsequent Einhalt gebieten müssen, ist der kleinbürgerliche Drang nach Selbstprofilierung. Während einige Genossinnen und Genossen es vorziehen, eher mit einer etwas passiven Haltung im Hintergrund zu bleiben und auch nicht den Anschein erwecken, überall und immer an vorderster Front mit dabei sein zu müssen, gibt es auch jene, die überdurchschnittlichen Ehrgeiz mitbringen und wirken, als drehe sich die Erde um sie. Wir möchten Eifer und Ehrgeiz nicht verurteilen und sind geneigt, Genossinnen und Genossen mit solchen Charaktereigenschaften zu fördern, doch müssen wir hier wachsam sein und unterscheiden; konstruktiver Eifer und Ehrgeiz im kollektiven Sinne, im Sinne der Bewegung, ist nicht zu verurteilen. Doch unterstützen wir nicht den selbstverliebten Drang von aktiven Mitstreiterinnen und Mitstreitern, deren Ziel es ist, sich selbst (manchmal ohne Rücksicht auf andere Genossinnen und Genossen) in den Mittelpunkt zu rücken. Der Selbstprofilierungsdrang in ihnen wird es nicht zulassen, sich politisch mit Kritik auseinanderzusetzen. Fehler und falsches Verhalten werden vehement abgestritten, dem folgt ein Feuer der Gegenkritik oder aber die Konfrontation mit Kritik wird bewusst vermieden. Auf Selbstkritik zu hoffen ist dabei meist vergeblich, da das Verständnis nicht auf Kollektivität basiert und Sinn und Zweck von Kritik und Selbstkritik nicht verinnerlicht sind. Da in solchen Fällen die Motivation, politische Arbeit zu machen, eine andere ist, als die Organisierung zu stärken und einen Aufbauprozess zu befördern, sondern viel eher kleinkariert und individualistischer Natur ist, wird dem ein Riegel vorgeschoben. Die Loyalität zur Organisierung geht ganz klar vor!
Ein anderer Grund ist der Liberalismus: Mao Tse Tung hielt in seiner Schrift “Gegen den Liberalismus” richtigerweise fest: “In revolutionären Kollektiven ist der Liberalismus äußerst schädlich. Er ist ein Ätzmittel, das die Einheit anfrisst, den Zusammenhalt lockert, Passivität in der Arbeit sowie Zwistigkeiten hervorruft. Er raubt den revolutionären Reihen die straffe Organisation und Disziplin, verhindert die gründliche Durchführung der politischen Richtlinien und führt eine Entfremdung zwischen der Parteiorganisation und den von ihr geführten Massen herbei.” Der Liberalismus äußert sich in einer passiven Haltung, die manchmal fast an Gleichgültigkeit grenzt. Sie ähnelt ein bisschen einer Beamtenmentalität, die sich damit begnügt, ihren Beitrag geleistet zu haben, oder manchmal auch nicht, was nicht als allzu schlimm empfunden wird. Auf Kritik wird in der Regel mit verschiedensten Ausflüchten reagiert, die (bewusst oder unbewusst) die Konfrontation mit der eigenen Verantwortung umgehen. Gleichzeitig wird es nicht unbedingt als nötig erachtet, Kritik zu äußern, da die eigene Auffassung einen lockeren Anspruch nicht nur an sich selbst, sondern auch an die übrigen Genossinnen und Genossen formuliert. Auch Begründungen, mensch sei nicht richtig angewiesen worden oder Anweisungen sei nicht entsprechend Folge geleistet worden, umgehen meist das eigentliche Problem, da dabei eine tiefergehende Hinterfragung zum Analysieren der Schwierigkeiten nicht folgt. Es gleicht einer Konsumhaltung. Wir können uns keine Konsumhaltung leisten. So falsch diese ist, so hemmend wirkt sie sich auf die Eigeninitiative aus, sich in der Lage zu sehen, kreativ und produktiv als integraler Teil des Kollektivs wirken zu können. Die Organisierung kann nur in dem Maße wachsen, wie es die einzelnen Militanten (im Sinne von “AktivistInnen”) und Kader können. Eine Erwartungshaltung der Organisierung gegenüber, von ihr alle Mittel zur Verfügung gestellt zu bekommen, alle Antworten auf Probleme und Fragestellungen geliefert zu bekommen, ist allein deshalb schon widersprüchlich, weil sie die eigene Rolle innerhalb der Organisierung ausklammert und sie zu einer teilnahmslosen KonsumentIn werden lässt. Es gilt: Erwartungshaltung abstreifen, Verantwortung übernehmen!
Die beiden skizzierten Neigungen sind bewusst etwas überspitzt dargestellt, sollen dadurch aber helfen, sie besser nachvollziehen zu können. Wir alle tragen solche und ähnliche Neigungen in einem gewissen Maße in uns. Im Text dieser Reihe “Die Kollektivität als Garant der revolutionären Bewegung” schrieben wir hierzu: “(Das kapitalistische System versucht) in jedem einzelnen von uns permanent die kleinbürgerlichen Neigungen und Gewohnheiten zu stärken. (…) Das bedeutet, dass die revolutionäre Identität, die wir dem gegenüberstellen, in permanenter Weise unter Angriff steht und sich Tag für Tag aufs Neue bewähren muss.”
Der politische Umgang mit Kritik und Selbstkritik kann seine Wirkung erst in vollem Umfang entfalten, wenn die Miltanten und Kader über ein ausreichend entwickeltes revolutionäres Bewusstsein mit einem Mindestverständnis für Kollektivität verfügen. Erst dieses Bewusstsein ermöglicht es uns, konstruktive Kritik nicht als persönliche Angriffe wahrzunehmen, sondern als solidarische Hilfestellung, die letztendlich die Organisierung stärken soll. So ermöglicht es uns erst dieses Bewusstsein, Fehler und Mängel selbstkritisch einzugestehen.
Abschließen möchten wir dieses Kapitel mit selbstkritischen Feststellungen bezüglich Kritik und Selbstkritik von der italienischen Organisation Lotta Continua, die in den 60/70ern als eine der kommunistischen VerfechterInnen der Massenlinie galt: “(…)Kritik und Selbstkritik sind schließlich unerlässlich, will man anhand von bestimmten Kriterien herausfinden, wer das Recht und die Aufgabe hat, voll an unserer Arbeit und unseren Entscheidungen mitzuwirken und wer stattdessen ausgeschlossen werden muss (…) (eine Bilanz unserer Aktivitäten) ist die einzige Methode, um uns zu korrigieren und unsere Arbeitserfahrungen voll auszunutzen. Der Inhalt unserer Praxis ist, außer für uns auch für alle anderen revolutionären Organisationen äußerst reichhaltig und von größter Bedeutung. Leider ging er zum größten Teil verloren, weil wir uns nicht genügend damit auseinandergesetzt haben. (…)”

Die Ungleichzeitigkeiten gezielt überwinden

Die Thematisierung unserer Ansprüche an unsere Strukturen, welche wir nun seit der radikal 161 vornehmen, möchten wir im Hinblick auf einen zu schaffenden Kodex fortsetzen, der für alle Militanten und Kader, die innerhalb der Strukturen der (RL) organisiert sind, gültig sein sollte. Dieser soll unsere bisherigen Diskussions- und Arbeitsergebnisse beinhalten und einen Leitfaden zur Aufstellung innerorganisatorischer Regeln und Prinzipien herleiten.
Unser Organisierungsansatz war von Beginn an nicht lokal orientiert, sondern definierte mittelfristig eine möglichst landesweite Organisierung zur Schaffung einer strategisch wirkungsvollen Ausgangssituation. Es sind dabei eine Menge Probleme organisatorischer, ideologischer, logistischer und kommunikativer Natur zu lösen. Gleichzeitig gilt es, die Ungleichzeitigkeiten, die natürlicherweise aufgrund lokaler und personeller Unterschiedlichkeiten gegeben sind, möglichst anzugleichen oder bestenfalls aufzuheben. Dienen soll uns dafür mitunter die radikal in ihrer speziellen Rolle als kollektiver Organisator, über den sich die politische Linie idealerweise vereinheitlichen und die verschiedenen Zusammenhänge verteilt über das Land zusammenschweißen soll. Neben des Vertriebs dieser Zeitung, die uns den Aufbau eines landesweiten Verteilernetzes aufzwingt bzw. ermöglicht, sollen uns auch die eingebrachten Texte dieser Reihe Eckpunkte zur subjektiven Weiterentwicklung bieten.
Eine Aufgabe, die sich uns insbesondere in Anbetracht der genannten lokalen Ungleichzeitigkeiten stellt, ist es, der Notwendigkeit eines verbindlichen Kodex innerhalb der (RL) nachzukommen und diesen auszuarbeiten. Wir möchten dabei u.a. auf die bisher veröffentlichten (RL)-Papiere hinweisen, im Speziellen allerdings auf das in dieser Ausgabe enthaltene Grundsatzpapier und die übrigen Texte der Reihe “Für ein revolutionäres Leben”.

Der Kader und konspirativer Selbstschutz

Die permanent zu leistende Reproduktion stellt neben dem Aufbau der revolutionären Organisation gleichzeitig ihre Absicherung und ihren Selbstschutz dar. Sie ist existenziell von der subjektiven Weiterentwicklung der einzelnen Militanten und Kader abhängig, da die aktuelle Ausgangssituation und Organisierungsform Konspiration, sprich Geheimhaltung voraussetzt. Die Schwierigkeit dessen wird allein schon in den Fragen der Werbung neuer AktivistInnen und der Kaderbildung ersichtlich. Hierbei spielt zur Gewinnung neuer SympathisantInnen zwar die politische Ausrichtung und Ausstrahlungskraft der Organisierung eine zentrale Rolle, doch die Rekrutierung neuer AktivistInnen aus dem SympathisantInnenumfeld setzt konspiratives Vorgehen voraus und lässt nur geheim geführte, intensive Einzelgespräche zu.
Aber wie definieren wie den Kader? Dieses möchten wir an dieser Stelle kurz vornehmen, da es dazu doch Fragen und Missverständnisse gibt. Unserer Ansicht nach ist es falsch jene Begriffe, die in der revolutionären Bewegung eine eindeutige Definition und somit ihren festen Platzbesitzen, von vornherein mit kleinbürgerlichen Vorurteilen abzulehnen. Wir schrieben in dem ersten Text dieser Reihe “Für die Revolution zu kämpfen bedeutet Verantwortung zu übernehmen!”, dass “Kader für uns eben keine nicht selbst denkenden ParteisoldatInnen (sind), sondern GenossInnen, die sich dafür entschieden haben, Verantwortung für den revolutionären Prozess zu übernehmen und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kapazitäten den Organisierungsprozess veranzutreiben.” Die revolutionäre Organisierung ist ein Kader mit seinen Regeln und Prinzipien. Der Begriff Kader hat seinen Ursprung im Französischen (Le Cadre: Der Rahmen) und bezeichnet in der Militärsprache Offiziere und Unteroffiziere,  welche im Kriegsfall die Reservisten organisieren und in den Truppenkörper einreihen. Illegale Organisationen haben diesen Begriff für sich abgeleitet, ohne die eigentliche Bedeutung zu entfremden. Der österreichische Sozialist Otto Bauer widmete dem Thema “Kaderschulung und Massenarbeit” ein Kapitel in seinem Buch “Die illegale Partei”. Darin hebt er hervor: “Da es der Polizeigewalt des feindlichen Staates immer wieder gelingt, Teile des Kaders zu vernichten, muss der Kader für seine ständige Ergänzung sorgen. Die Auslese des Kaders aus der Masse, ursprünglich Resultat eines spontanen Prozesses, der aus der Masse der Illegalen der ersten Anfänge die Bestqualifizierten ausgelesen hat, wird im weiteren Verlauf zur bewußt zu lösenden Aufgabe des Kaders selbst. (…) Soll die Leistungsfähigkeit des illegalen Kaders nicht zusammenschrumpfen, so müssen geeignete Genossen aus seinen Reihen ständig mit der Aufgabe der individuellen Werbung neuer Mitglieder betraut sein.”
Einen enormen Stellenwert besitzt die Schulung des Kaders an sich. Diese setzt sich zusammen aus politisch-ideologischem Rüstzeug und der Schulung zur Konspiration. Die Erlernung und das Weitergeben politischer Grundlagen, die bei der Schulung einen kontinuierlichen Prozess darstellen, gewährleisten erst die Qualität und Ausdauer, die sowohl die Kaderbildung als auch die Basisarbeit ermöglichen und ausmachen. Kritisch einzugestehen ist, dass wir die politisch-ideologischen Schulungen bisher nicht in dem Maße umsetzen konnten, wir wir es bisher für erforderlich gehalten haben. Es wird eines unserer akut zu lösenden Schwierigkeiten sein, da uns der Stellenwert dessen bewusst sein sollte. Um dieses mit einem weiteren Beispiel zu verdeutlichen, möchten wir an dieser Stelle aus einem Interview mit den ehemaligen Mitgliedern der argentinischen Revolutionären Arbeiterpartei PRT, Nato Gonzales und Fernando Ceperino, aus “Die Guerilla zieht Bilanz” von Gaby Weber, zitieren: “Es schlossen sich uns viele neue GenossInnen an und wurden in der Organisation sofort mit Aufgaben betraut, die sie nicht bewältigen konnten. Nicht weil sie jung waren oder von anderen Organisationen gekommen waren, sondern weil sie nicht über ausreichende ideologisch-politische Schulung verfügten. Als ich verhaftet und ins Gefängnis gesperrt wurde, habe ich miterlebt, wie GenossInnen, die zuvor von nichts außer dem bewaffnteten Kampf gesprochen und ein Schwarz-Weiß-Bild gemalt hatten, im Gefängnis vollkommen zusammenbrachen und schlechtes Verhalten an den Tag legten.” Mit Sicherheit herrschen in der heutigen BRD nicht die Verhältnisse, wie sie seinerzeit nach dem Militärputsch in Argentinien herrschten, doch zwingen uns diese und ähnlich tragische Resultate eine intensivere Konfrontation und Beschäftigung mit diesem Themenkomplex auf.
Die Schulung zur Konspiration stellt in unserem aktuellen Stadium ebenso einen entscheidenden Faktor dar. Zurecht setzte Otto Bauer im selbigen Kapitel fort, dass “es zu den allerwichtigsten Aufgaben der Schulung des Kaders (gehört), die Regeln der Konspiration festzusetzen und jeden einzelnen Mitarbeiter an dem illegalen Werk mit ihnen vertraut zu machen.” Zu den Regeln, die wir nun mehrmals abstrakt erwähnt haben, zählen neben der Lebensführung, dem Verhalten gegenüber dem sozialen und politischen Umfeld auch Richtlinien, die die Beschaffung, den Transport und die Aufbewahrung von logistischen Mitteln betreffen, als auch die innerorganisatorische Kommunikation.
Gleichzeitg ist es erforderlich, sich durch die Umstände, die die Konspiration mit sich bringt, nicht lähmen zu lassen und den nötigen Ein- und Überblick über die tagespolitischen Entwicklungen und die Entwicklungen in der Basis zu wahren. Doch auch hierbei besteht die große Gefahr, sich nicht rechtzeitig damit auseinandergesetzt zu haben und sich dadurch möglicherweise von der Basis zu entfremden. Die Schwierigkeiten illegaler Organisierung und das Entstehen einer organisationsinternen Bürokratie problematisierte bereits der ehemalige Generalsekretär der chilenischen MIR (Revolutionäre Linke Bewegung), Andres Pascal Allende, in einem Interview aus dem Buch “Die Guerilla zieht Bilanz” von Gaby Weber: “(…) natürlicher Weise kannst du aus dieser Perspektive die Veränderung der Realität und der sozialen Struktur nicht erkennen. Bei freier Bewegung kannst du dich mit zehn bis zwanzig GenossInnen treffen und dadurch, dass diese in unterschiedlichen sozialen Bereichen aktiv sind, bereichert es die Diskussion. In der Illegalität kannst du dich nur mit drei bis vier GenossInnen treffen, mit den übrigen kommunizierst du schriftlich und die wegen Sicherheitsmaßnahmen über Umwege übermittelten Briefe und verschlüsselten Nachrichten kosten dich Stunden. Der Arbeitsrhytmus ist langsam und anstrengend. Du kannst nicht arbeiten, mit deiner Familie leben und deshalb ist die Partei dazu gezwungen, dein Leben zu finanzieren. Und aus dieser Notwendigkeit entsteht eine revolutionäre, profesionelle Kadereinheit und damit eine interne Bürokratie.”
Künftige Schwierigkeiten, die innerhalb einer informellen/klandestinen Organisierung vorausschauend berücksichtigt werden müssen, gehen mit den heute getroffenen bzw. nicht getroffenen Entscheidungen Hand in Hand. Dazu gehören die Festlegung von politisch-ideologischen Grundsätzen wie eben auch die praktischen Richtlinien, die für die Umsetzung der politischen Ziele von elementarer Bedeutung sind. Eine weitere entscheidende Rolle spielen die Erfahrungen anderer revolutionärer Bewegungen, die Dokumente über die objektiven Voraussetzungen ihres Kampfes, ihre politischen und organisatorischen Ansätze und die aufgetretenen Schwierigkeiten angefertigt haben. Mit Verweis auf das oben angeführte Zitat von Lotta Continua bleibt für uns festzustellen, dass die militante gruppe (mg) treffend definierte: “Die Aneignung von linker Widerstandsgeschichte und ihre genaue Kenntnis stellt für uns die Voraussetzung dar, um zu einer (Neu-)Definition revolutionärer Politik zu gelangen.”

Der Kodex: Grundsätze, Richtlinien und Prinzipien

Wir möchten nun so langsam zusammenfassend auf den Punkt kommen. Angesichts unserer Ausgangslage, unserer Organisierungsform und der lokalen Ungleichzeitigkeiten sehen wir uns veranlasst, einen einheitlichen, revolutionären Kodex zu definieren, welcher verbindlich für alle Strukturen, Militanten und Kader innerhalb der (RL) zu gelten hat.
1. Politischer Grundsatz
Dieser muss sich über eine vertiefende Diskussion der politisch-ideologischen Grundlagen entwickeln. Unsere Ansätze liegen in Form eines Grundsatzpapiers vor, das ebenfalls in dieser radikal-Ausgabe veröffentlicht ist und von dem die Grundlagen abzuleiten sind. Dieses Papier entspricht unserem aktuellen Konsens und stellt unsere Plattform dar.
2. Revolutionäre Aktion
Die Fragestellung würde Regeln und Prinzipien der revolutionären Aktion betreffen. In der radikal-Ausgabe 161 formulierte unsere Aktionsgruppe mpn (militantes propaganda netz): “Der Ausdruck der Aktion, ganz gleich ob sie friedlich, militant oder bewaffnet durchgeführt wird, sollte in erster Linie verständlich und vermittelbar sein. Elementar ist für uns, dass die revolutionäre Aktion im Sinne unserer Klasse und der Revolution ist.” Neben einer nötigen, inhaltlichen Vertiefung dieses Zitats müssen die praktischen Regeln der revolutionären Aktion klar umrissen werden.
3. Konspirativer Selbstschutz
Die Vereinheitlichung der Arbeitsmethodik, der Sicherheits- und Kommunikationsrichtlinien ist zwingend erforderlich. Da diese unter Bedingungen der Konspiration umzusetzen sind und maßgeblich den Selbstschutz absichern, sind existierende Lösungsansätze einander gegenüberzustellen und auf Effektivität zu prüfen. Natürlich berühren wir damit Punkte, die wir nicht im vollen Umfang öffentlich diskutieren können. Allerdings werden wir unsere Lösungsanätze in ihren Grundzügen benennen.
4. Verhaltensregeln
Ein weiterer Punkt, der an den letzten anschließt und passagenweise ebenso vertraulich zu behandeln sein wird, ist die Aufstellung von Verhaltensregeln. Diese Untersuchung wird unsere Lebensführungs- und Verhaltensweisen reflektieren und Richtlinien und Prinzipien erkennbar werden lassen, die es uns ermöglichen, in unserem sozialen und politischen Umfeld den Ansprüchen der Organisierung unter klandestinen Bedingungen nachzukommen.

Wir werden in den kommenden Ausgaben versuchen, die Ausarbeitung dieses Themenfelds so transparent wie möglich darzustellen. In der kommenden Ausgabe werden wir uns in dieser Reihe mit dem Themenfeld kleinbürgerliches Denken und proletarisch-revolutionäres Denken auseinandersetzen.

Revolutionäre Linke (RL)
Frühjahr 2010

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