Das “Konzept klandestine Zeitung” – Zur Neugestaltung der radikal –

Wir wollen uns an dieser Stelle an ein erstes kleines Zwischenfazit der bisherigen Herausgabe und des Vertriebes der radikal – publikation der revolutionären linken wagen. Damit ist verbunden, den Charakter dieses klandestinen Zeitschriftenprojektes weiter zu konkretisieren. D.h. aus dem Zwischenfazit, das unsere bisherigen Erfahrungen mit dieser umgesetzten Zeitungsidee zusammenträgt, soll sich die inhaltliche Bestimmung des Blattes exakter fassen lassen. Zudem werden wir in dieser ersten Aufarbeitung der (unendlichen) Fortsetzungsgeschichte der radikal einige Ausblicke anfügen.

Mit der Herausgabe und des Vertreibens dieser dritten Nummer unserer “Postille” sollten wir uns in mehrfacher Hinsicht “etabliert” haben. Allein die Kontinuität der Erscheinungsweise der wieder-wieder-belebten radikal seit dem Sommer 2009 belegt, dass eine klandestine Herstellung und ein klandestiner bundesweiter Vertrieb eines originell-alternativen Zeitschriftenformats umsetzbar ist, auch wenn die Ausgangs- und Realisierungsbedingungen nicht die einfachsten waren bzw. sind. Drei Ausgaben innerhalb eines Jahres auf den etwas anders gelagerten  Zeitschriftenmarkt, der sich hauptsächlich unterhalb der Ladentheke abspielt, geworfen zu haben, ist erst einmal eine Wegmarke. Allerdings ist hiermit nichts über einen künftigen Erscheinungsrhythmus gesagt; die radikal hat ihren eigenen Takt, dem sie folgen wird. Ein Takt, der sowohl von der Entwicklung der das Zeitungsprojekt tragenden Revolutionären Linken (RL) als auch vom “Bewegungszyklus” der revolutionären Linken mit ihren (vielfältigen) Schattierungen abhängt.
Entgegen der einen oder anderen Befürchtung (auch innerhalb des Redaktionskollektivs), dass die Neuauflage der radikal nach dem ersten Probelauf sofort wieder eingestellt werden müsste, da ein solches Blatt nur noch anachronistisch ist, erwies sich als unbegründet. Sie wird gelesen, diskutiert, (fehl-)interpretiert; und zwar in alle Himmelsrichtungen hin. Zumal es sich bei der aktuellen Verpackung und den Verpackungsinhalt der radikal um keine simple Kopie der direkten Vorgängerin handelt bzw. handeln sollte. Das Innovative, das sich mehr und mehr in der radikal niedergeschlagen hat und weiterhin niederschlagen soll, ist ein wesentlicher Motor für uns als diejenigen, die dieses Blatt machen. Uns ist einsichtig, dass die konzeptionell weiterentwickelte radikal vor allem konservative Gemüter erhitzen muss, da es immer ein mühevoller Weg ist, eingefahrene Spurrillen abseits liegen zu lassen und die eine oder andere unbekannte Gabelung zu nehmen. Dieses Wagnis wollen wir als BlattmacherInnen jedenfalls eingehen: “Auf zu neuen Ufern”…
Bereits in den ersten Überlegungen nach der “feindlichen Übernahme” wurde als zentrale Neuerung gesetzt, einen eigenständigen Charakter der radikal als publikation der revolutionären linken zu entwickeln. Auch wenn sich dieses Blatt weiterhin in der Phase der Ausgestaltung befindet, lassen sich einige formale Charakteristika, die gleichzeitig inhaltliche (!) sind, feststellen. Die radikal ist als projektspezifisches Strömungsblatt der revolutionären Linken konzeptionell als ein kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator und literarischer Freischärler angelegt. Es werden nicht Texte produziert und veröffentlicht um der Texte willen, bzw. um geduldiges Papier zu bedrucken. Die zur Veröffentlichung gelangten Textbeiträge sollen zum einen eine inhaltliche Orientierung vermitteln und Diskussionsanstöße liefern, die in einem weiteren Verlauf  zu tatsächlichen Bezug nehmenden Debatten führen. Sie sollen eine aufrüherische Note tragen und Stichworte der Mobilisierung liefern. Zum anderen wird über den Vertrieb der radikal ein VerteilerInnennetz organisiert, das die Publikation strukturell an einer entscheidenden Stelle trägt; ohne eine Vertriebsstruktur ist eine Verbreitung der radikal unmöglich, folglich wäre ihre Reichweite sehr begrenzt. Eine praktisch umgesetzte Zeitungsidee dieser Art könnte kaum ein, zwei Ausgaben überdauern, wäre keine strukturelle Verankerung gegeben bzw. ausbaufähig. Ohne diese Voraussetzungen und Bedingungen wäre ein solches Blatt tatsächlich nur ein papiernes Sprachrohr ohne jegliche Akustik. Eine derartige publizistische Nullnummer wäre von uns umgehend eingestampft worden, da in einem solchen Falle nur Kräfte gebunden und vor allem vergeudet wären, die andernorts viel sinnvoller eingebracht werden könnten. Die Dinge liegen aber bedeutend anders, was uns freut und ermuntert, mit Tatendrang in Serie zu gehen…
In diesem Beitrag werden wir überwiegend einige historische Ausflüge unternehmen, um das “Konzept klandestine Zeitung” herzuleiten und verständlich zu machen. Eine Darstellung der publizistischen Unternehmungen der (revolutionären) Linken in der BRD ab Ende der 60er Jahre (“Charlie kaputt”, “Agit 883″, “FIZZ”, “Langer Marsch”, “INFO-BUG” etc.) bleibt hier ungeschrieben; sie bleibt einem weiteren Beitrag vorbehalten. Außerdem wäre interessant nachzufragen, welche Wirkung und Bedeutung bspw. die von den Revolutionären Zellen (RZ) herausgegebene Zeitung “Revolutionärer Zorn” hatte. Vielleicht finden sich in absehbarer Zeit ein paar Freistunden, um an diesem Auftaktbeitrag zum “Konzept klandestine Zeitung” weiterzuschreiben.
Wir möchten im folgenden auf drei Fragestellungen näher eingehen, die für uns entscheidend sind, um die radikal in ihrer jetzigen Form auszubauen und im Profil zu stärken. Dabei schließen wir – das Themenfeld der Herausgabe einer klandestinen Zeitschrift erweiternd und vertiefend – an unsere beiden vorhergehenden Vorworte an.

Was heißt es, die radikal als kollektiven Propagandisten, Agitator und Organisator und literarischen Freischärler zu konzipieren – oder wie können sich Lenin und Most vertragen?

Wenn man sich auf- und heranmacht, ein kriminalisiertes “Untergrundblatt” konzeptionell zu überarbeiten, wenn nicht nur einzelne kosmetische Korrekturen vorgenommen werden sollen, sondern die gesamte Aufmachung einer Überprüfung unterzogen werden soll, dann stößt man als HerausgeberInnenkollektiv zügig auf den Genossen Wladimir Iljitsch Uljanow, der unter dem “Deck- und Kampfnamen” Lenin zu einem weltumspannenden Bekanntheitsgrad gekommen ist. “Zeitungen, Broschüren, Proklamationen leisten”, schreibt Lenin verallgemeinernd, “eine notwendige Arbeit der Propaganda, Agitation und Organisation. Ohne einen journalistischen Apparat kann keine einzige Massenbewegung in einem halbwegs zivilisierten Lande auskommen.”  Nicht ganz so zügig, weil viel zu sehr in Vergessenheit geraten, kommt man des weiteren auf den alten Haudegen Most zu sprechen, der durch seine spitze Feder und sein “loses Mundwerk” einen “journalistischen Apparat” als “Ein-Mann-Betrieb” unterhielt.
“Lenin” und “Most”, in einem Atemzug genannt, was für Reizwörter unter den Lettern der radikal – mag sein. Uns interessiert an dieser Stelle zunächst, welche Anleihen für eine publizistische Rundumerneuerung, die mit dem Namenszug eines alten Bolschewiken und dem eines Agitators der “Propaganda der Tat” verknüpft ist, zu machen sind und welche nicht.
Fangen wir mit dem Genossen Lenin an: Wenn die spezifische Konzeption einer regelmäßig erscheinenden Zeitung oder Zeitschrift nicht direkt mit Lenin verknüpft wäre, die er in einer der ersten Iskra (Der Funke)-Nummern im Jahr 1901 unter dem Titel “Womit beginnen?” und in der 1902 herausgegebenen Broschüre “Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung” dargelegt hat, sondern von zeitgenössischen Mitkämpfern bzw. Kontrahenten wie G. W. Plechanow, P. B. Axelrod oder A. Martynow, so wären jene (halb- bzw. nicht-revolutionären) Sozialdemokraten eine unserer (russischen) Bezugsquellen. (Wir scheuen nicht die Debatte um die Bolschewiki-Politik Lenins und anderer VertreterInnen dieser Linie, auch nicht eine Kontroverse um den “Leninismus”, eine vom damaligen Komintern-Vorsitzenden G. Sinowjew Mitte der 20er Jahre populär gemachte Begriffsschöpfung. Allerdings halten wir diesen einleitenden Beitrag der aktuellen radikal-Ausgabe nicht für den geeigneten Raum, um dieses Themenfeld inhaltlich zu vertiefen)
Aber kommen wir langsam zum eigentlichen Vorschlag, die radikal als einen kollektiven Propagandisten, Agitator und Organisator zu konzipieren. Lasst uns, ohne dass wir uns zu sehr in die Materie hinein begeben, kurz auf die bedeutende Zeitung eingehen, auf die wir uns als “historischen Vorläufer” beziehen, wenn wir den Genossen Lenin anführen: auf die Iskra. Eine Bemerkung sei – als reine Vorsichtsmaßnahme – noch vorausgeschickt: Sich in einer gewissen Nachfolgeschaft zu sehen, heißt nicht, a-historisch nachahmen zu wollen. Es ist schlechterdings unmöglich. Wir wollen auch nicht der durchaus gegebenen Gefahr unterlaufen, durch die ausgewählte Aneignung von konzeptionellen Versatzstücken den jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang bspw. eines Zeitungsprojektes auszuklammern. Mit der geschichtsbewussten Anlehnung an eine frühere Konzeption des Zeitungsmachens verlieren wir ebenso wenig den gegenwärtigen Boden unter den Füßen. Im Gegenteil, nur infolge von kritischer Überprüfung und Infragestellung des Vergangenen kann ohne dogmatische und/oder opportunistische Floskeln an ein neues Werk herangegangen werden.
Den Ausgangspunkt für die Entfaltung einer organisatorischen Tätigkeit sieht Lenin in der “Schaffung einer zentralen politischen Zeitung”. Damit soll zum einen die Beliebigkeit und Uneinheitlichkeit der Argumentation einer revolutionären Strömung aufgehoben werden, ein “Leitfaden” entwickelt werden. Zum anderen soll darüber ermöglicht werden, mit einer Stimme sprechend propagandistisch und agitatorisch an potentielle MitstreiterInnen heranzutreten. Die Funktion einer Zeitung ist allerdings mit dem Verbreiten von Ideen und Positionen noch lange nicht erschöpft. Sie ist eben nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern gleichfalls und wesentlich ein kollektiver Organisator: “In dieser Beziehung kann sie”, so Lenin, “mit einem Gerüst verglichen werden, das um ein im Bau befindliches Gebäude errichtet wird (…) Mit Hilfe der Zeitung und im Zusammenhang mit ihr wird sich ganz von selbst eine beständige Organisation herausbilden (…).” Die regelmäßig angeforderten und eingehenden Textbeiträge, das Zusammenführen von aktuellen Debatten, die in der Zeitung ihren Widerhall finden, der Aufbau einer Verteil- und Vertriebsstruktur, und nicht zuletzt das periodische Erscheinen der Publikation, bedeuten einen enormen organisatorischen Aufwand. Um ein solches Blatt, vor allem unter kriminalisierten und illegalisierten Bedingungen, existieren lassen zu können, braucht es die Organisierung eines verbindlichen Netzes von AktivistInnen und SympathisantInnen. D.h., um die Zeitung herum bildet sich ein personelles und strukturelles Geflecht, das die Basis für einen organisatorischen Aufbau darstellt. In einem so verstandenen zentralen Zeitungsprojekt werden die entwickelten inhaltlichen Positionen zu einer vereinheitlichten ideologischen Orientierung konkretisiert und nach außen hin propagiert. Über das Verteiler- und Vertriebsnetz wird die Zeitung als publizistischer und schriftlicher kollektiver Propagandist eingesetzt. Die Rolle als kollektiver Agitator erfüllt die Zeitung dann, wenn sie von einzelnen AktivistInnen und SympathisantInnen in politischen Auseinandersetzungen als Argumentationsgrundlage herangezogen und eingebracht wird. Die Zeitung erhält eine breiter werdende Resonanz dann, wenn durch die Verschränkung der propagandistischen und agitatorischen Aktivitäten eine organisatorische Vereinigung der beteiligten AktivistInnen und eine organisatorische Einbindung der SympathisantInnen erfolgt – die Zeitung funktioniert dann als kollektiver Organisator. In den Ausführungen Lenins in seiner Schrift “Was tun?” stellt die “Iskra” den zentralen Ausgangs- und Sammlungspunkt einer sich landesweit strukturierenden und ausbreitenden revolutionären Partei dar.
Gut. Lenin hin, Lenin her. Ganz im Sinne des von der militanten gruppe (mg) in der radikal Nr. 161 aufgebrachten “leninistisch-blanquistischen Syntheseversuchs”, wollen wir gerne einen Blick von St. Petersburg nach Augsburg werfen, in die Geburtsstadt des Prototypen eines “sozialdemokratischen Agitators”, der wesentlich durch seine forsch-freche publizistische Tätigkeit Aufmerksamkeit erregte: die Rede ist von niemanden geringerem als von Johann Most, dem personifizierten Rebellen, der so eindringlich von dem führenden frühen Anarcho-Syndikalisten Rudolf Rocker porträtiert wurde.  Most emigrierte aufgrund seiner Ausweisung aus Deutschland nach dem Beginn des sog. Sozialistengesetzes (1878-1890)  nach England und gab von dort mit Kollegen die illegal nach Deutschland eingeführte Zeitung “Freiheit” heraus. Sie war im Jahre 1879 eine, wenn nicht die einflussreichste sozialdemokratische Zeitung nach der Illegalisierung der deutschen Sozialdemokratie, der damaligen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Most, der u.a. für eine populäre Text-Verarbeitung von Marx’ “Das Kapital” gesorgt hatte, griff publizistisch die Unzufriedenheit der sozialdemokratischen Basis mit der Stillhaltepolitik (“Taktik der Gesetzlichkeit”) der SAPD-Führung gegenüber der ausnahmegesetzlichen Repression auf. Das war anfangs auch das prägnanteste Motiv für die Erstellung einer sozialdemokratischen Zeitung; nämlich zu zeigen, dass man trotz der obrigkeitsstaatlichen Drangsalierung sich das gedruckte Wort nicht verbieten lässt, auch wenn man dafür das Exil in Kauf nehmen muss oder in den Kerker gesperrt wird.
Die “Freiheit” war in ihrer Anfangszeit bis 1881 ausdrücklich als ein sozialdemokratisches Organ betitelt, was in der Unterzeile des Zeitungsnamens zum Ausdruck kam. Erst nach der Emigration in die USA erhielt die “Freiheit” Untertitel, die auf eine sozial-revolutionäre und später anarcho-kommunistische Umorientierung verwiesen. Auch wenn die “Freiheit” keineswegs ein “inhaltsleeres” und rein propagandistisches Blatt war, so haben u.a. die ideologischen Schlangenlinien dazu geführt, dass sich Most recht treffend in einem Marx-Zitat (“Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme”) wiederfinden konnte.
Insbesondere der SAPD-Parteipatriarch Wilhelm Liebknecht, der Vater von Karl Liebknecht, missbilligte den agitatorisch-provozierenden Ton von Mosts “Freiheit”. Zwischen beiden entspann sich in den Folgejahren eine persönlich-politische Fehde, die u.a. in öffentlich verschrifteter Form ausgetragen wurde. Most, der “Dynamitapostel”, sah sich dem Angriff ausgesetzt, in seiner Zeitung den “putschistischen Blanquismus” und “nihilistischen Terrorismus” zu huldigen. Aber was sollte denn dagegen einzuwenden sein, wenn die informative Nachricht bspw. über den geglückten “Individual-Akt” gegen den tyrannischen russischen Zaren Alexander II. 1881 in der “Freiheit” mit der Leitartikelüberschrift “Endlich!” aufgemacht wurde?!
Der Kreis um W. Liebknecht und A. Bebel, der im Lande blieb und die organisatorischen Geschicke der Partei wieder fest übernehmen wollte, musste auf die als parteipolitische Konkurrenz empfundene Exilanten-Szene reagieren. Als parteiamtliches Blatt wurde im Herbst 1879 “Der Sozialdemokrat” gegründet, um der “Freiheit” die Meinungsführerschaft in der sozialdemokratischen AnhängerInnenschaft nicht nur streitig zu machen, sondern abzutrotzen. “Der Sozialdemokrat” als anerkanntes offizielles und zentrales Organ der SAPD wurde in den Anfängen wie die “Freiheit” konspirativ über die Grenzen geschafft und unter der sozialdemokratischen AbnehmerInnenschaft vertrieben. Über den Vertriebsweg der legendären “roten Feldpost” wurde “Der Sozialdemokrat” zu einem bedeutungsvollen Bindeglied zwischen  Parteiführung, die nach dem Inkrafttreten des “Sozialistengesetzes” faktisch in den Händen der Reichstagsfraktion lag, und der sozialdemokratischen Basis, die sich nach der organisatorischen Zerschlagung bzw. angeordneten Selbstdemontage im Zuge des Ausnahmezustands erst langsam wieder sammeln konnte.
Obwohl die Vertriebsart sowohl von “Der Sozialdemokrat” als auch der “Freiheit” konspirativ war, machten W. Liebknecht & Co. ihre “Anti-Geheimbundstaktik” stark. Um in die mit Most und der “Freiheit” sympathisierenden Schar von  SozialdemokratInnen einen Keil treiben zu können, wurde die vermeintliche Most’sche “Geheimbündelei” aufs Korn genommen, die nicht nur die Parteiorganisation gefährden, sondern auch zu einer Isolierung von den proletarischen Massen führen würde. Mit dem Vorwurf der “Geheimbündelei” sollte Most bewusst und offen stigmatisiert werden. Ein Vorwurf, der insbesondere, was das AgitProp-Feld anbelangt, völlig an den Haaren herbeigezogen war. War es doch Most, der unermüdlich für seine sozial-revolutionären Positionen in ausgedehnten Vortragsreisen agitierte und sich dafür vehement aussprach, die eigene propagandistische und agitatorische Aktivität aus dem stillen Kämmerlein in die weite Welt hinauszutragen.
Seine zunehmend anarcho-kommunistische Orientierung brachte Most und seinem Mitstreiter Wilhelm Hasselmann 1880 auf dem Exil-Parteitag der SAPD in der Schweiz den Ausschluss aus der sozialdemokratischen Partei ein. Auch in England sah sich Most verschiedener Repressalien ausgesetzt, so dass er 1882 in die USA übersiedelte. Dort engagierte er sich intensiv für die libertär-sozialrevolutionäre Bewegung. Die “Freiheit” wurde im Laufe der Zeit zum zentralen “Internationalen Organ der Communistischen Anarchisten deutscher Sprache”. Uns interessiert hier vor allem, dass Most die “Freiheit” u.a. als publizistischen Multiplikator für die informative Vermittlung der Handhabung von Brand- und Sprengmitteln benutzte. In einer Artikelserie verarbeitete Most seine Lehrmonate in einer US-Dynamitfabrik. Diese Aufsatzsammlung ist dann in der “berüchtigsten Publikation” des Most’schen Schaffens als Broschüre unter dem vielversprechenden Titel “Revolutionäre Kriegswissenschaft. Ein Handbüchlein zur Anleitung betreffend Gebrauches und Herstellung von Nitro-Glycerin, Dynamit, Schießbaumwolle, Knallquecksilber, Bomben, Brandsätzen, Giften usw.” erschienen. Auch wenn der heutige Gebrauchswert dieser Anleitungen gegen Null tendiert und diese einen eher nostalgisch-melancholischen Hauch versprühen, zeigt sich doch eine (ungeahnte) Kontinuitätslinie darin, dass Publikationen der revolutionären Linken bereits damals ihren schriftstellerischen Raum für direkte Handlungsanleitungen zur Verfügung gestellt haben.
Zum 25jährigen Jubiläum der “Freiheit” 1903 schrieb Most zur Aufgabenstellung seiner Zeitung: “Die ‘Freiheit’ war und ist kein Parteiorgan. Sie ist ein literarischer Franctireur (Freischärler), ein wilder Rebell, der auf eigene Faust überall Lärm schlägt, wo er sich Gehör verschaffen kann, der an die Hütten der Armen und Elenden pocht, um die Schläfer aus den illusionären Träumen zu rütteln, die Zaghaften mit Mut zu beseelen, die Wankelmütigen und Verzweifelnden zur Ausdauer zu gemahnen, die Idealisten zu hellem Enthusiasmus hinzureißen und die Kühnen zur rechten Tat am rechten Ort zu reizen.”
Die “Freiheit” ist quasi als “Animateurin” und “Anstifterin”, als “publizistische Flak” der  permanenten Revolte anzusehen. Das klingt als konzeptionelle Grundlage für ein Zeitungsprojekt verhältnismäßig eindimensional, ist es vermutlich auch. Eine solche Interpretation würde aber übergehen, dass die “Freiheit” eine lehrreiche kommunikationstheoretische Erscheinung revolutionärer Presse ist, auch wenn man bei ihr nur für die Anfangszeit von einer gesellschaftsrelevanten publizistischen Kraft sprechen kann. Fragwürdig wird eine revolutionäre Publizistik allerdings dann, wenn sie zu eingleisig ausgerichtet wäre, wenn z.B. die Appelle absendende “Freiheit” die empfangende (vermeintlich oder tatsächlich motivierbare) Gegenöffentlichkeit einzig als Adressatin sehen würde – nur anstacheln und pushen zu wollen, ist als Konzept zu dünn.
Nichtsdestotrotz. Wir betonen gerne, dass wir als herausgebendes Kollektiv der radikal  der Machart der gesamten Most’schen Publizistik  eine große Portion Sympathie entgegenbringen, zumal sie nach eigenem Bekunden “zur Entkleisterung der Proletarierschädel” beizutragen hatte.
Most zieht selbst einige Verbindungen zu den damaligen sozialdemokratischen RevolutionärInnen Russlands. Er blickt, was die (klandestine) Verbreitungs- und Vertriebsstruktur (Kolportage) von kriminalisiertem und illegalisiertem Schriftgut betrifft, ins fundamental-oppositionelle Spektrum des Zarenreichs: “Man nehme sich in dieser Hinsicht namentlich die russischen Genossen zum Muster, welche durch rastlose Kolportierarbeit – wohl verstanden unter unsäglicher Mühe und bei schrecklichen Gefahren – wahre Wunder wirkten!”
Die innen wie außen sorgsam und liebevoll umgekrempelte radikal verstehen wir, um es mit einem gewissen Augenzwinkern zu sagen, also als die publizistische Synthese des freiheitlichen Funkens bzw. der funkenden Freiheit der Blattmacher Lenin und Most. Lenin ließ sich bei der Namensfindung für seine Zeitung von dem alten Dekabristen*-Leitspruch “Aus dem Funken wird die Flamme emporschlagen” inspirieren, während Most in einer Broschüre für einen hingerichteten befreundeten Akteur der “Propaganda der Tat” den freiheitlichen Ruf  “Der Brennstoff ist gehäuft. Proletarier, werft den zündenden Funken hinein!” ausstieß. Wir denken, da haben sich doch zwei Protagonisten gefunden, die man nicht ohne weiteres in ein verträgliches Verhältnis miteinander gebracht hätte, oder?! Wir jedenfalls üben uns heiter weiter in der Kunst, das (vermeintlich) Unvereinbare zu verbinden.
Der eben formulierte Satz ist wirklich schön gesagt, so könnte ein Vorhalt lauten. Nicht zu unrecht, wenn wir Lenin selbst sprechen hören, was er so von Most & Co. hält: “Die Deutschen haben auch in ihrer Mitte Demagogen gesehen, die einem ‘Hundert Dummköpfen’ schmeichelten, indem sie sie über das ‘Dutzend Schlauköpfe’ stellten, die der ‘schwieligen Faust’ der Masse schmeichelten, sie (wie Most oder Hasselmann) zu unüberlegten ‘revolutionären’ Aktionen anstachelten und Mißtrauen gegen die bewährten und standhaften Führer säten.” Wir werden mit Sicherheit in regelmäßiger und fortgesetzter Form auf die Diskussion zurückkommen, wie ein “leninistisch-blanquistischer Syntheseversuch” in der konkreten Gestalt aussehen kann. Einen Anlauf haben wir als Redaktionskollektiv der radikal – publikation der revolutionären linken jedenfalls gewagt.

Was heißt es, die radikal klandestin herzustellen und zu vertreiben – oder welchen Platz hat die radikal in der langen Kette kriminalisierter Literatur der revolutionären Linken?

Politisch “klandestin” zu arbeiten und sich in der “Klandestinität” zu bewegen, ist in Fraktionen der revolutionären Linken bereits seit den 70er Jahren zu einem geflügelten Wort geworden, mitunter auch zu einer ziemlich aussagearmen Begrifflichkeit verkommen. Es meint zunächst einmal nicht mehr, als quasi “verdeckt”, im nicht öffentlich zugänglichen Bereich einen Teil seiner politischen Aktivitäten zu organisieren. Die Mystifikation des “Klandestinen” stellt sich weniger bei denjenigen ein, die diesen abgeschotteten Betätigungsraum oft durch mühevolle revolutionäre Kleinarbeit schaffen und aufrecht erhalten, sondern eher bei jenen, die nur einen Blick von außen auf das haben, was als “Produkt” der klandestin organisierten Tätigkeit das Tageslicht der (Gegen-)Öffentlichkeit erreicht bzw. erreichen soll. Die Klandestinität ist eine organisatorische (Zusatz-)Form, um die eigenen Gruppenstrukturen vor ungewollten Einblicken abzusichern und den staatlich-repressiven Zugriff bereits im Vorfeld ins Leere laufen zu lassen. Ziel ist es, nicht (ab-)greifbar zu sein und nach Möglichkeit störungsfrei seinen Unternehmungen nachgehen zu können.
Es sei an dieser Stelle noch auf den Unterschied zwischen der Klandestinität und der Illegalität verwiesen. Auch wenn die radikal formell ein illegales, weil kriminalisiertes Blatt ist, so erfolgt die Textproduktion, die Herstellung und der Vertrieb der radikal auf klandestinem Wege. D.h., die MacherInnen dieser Publikation sind selbst als Personen nicht illegal/illegalisiert, sondern organisieren bestimmte Aspekte ihres politischen Alltags klandestin, d.h. sie “operieren” aus einem “legalen Dasein” heraus “verdeckt”.
Ein optisch-formaler Ausdruck der Klandestinität der radikal ist die “Tarnkappe”, d.h. der unverfängliche Tarnumschlag als Verpackung, der das eigentliche “Innenleben” nicht auf den ersten und zweiten Blick erkennen lassen soll. Als erste sozialistische Tarnschrift gilt übrigens August Bebels “Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft”, die außerhalb Preußens 1883 gedruckt und unter dem Tarntitel “Berichte der Fabrik-Inspektoren” eingeschleust worden ist.
Die optisch-formale Unscheinbarkeit, die künstlerisch und grafisch durchaus ansprechend und kreativ sein darf, fungiert sozusagen als Schutzhülle des “kleinen Versteckspiels”. Das soll nicht nur die Hürde nehmen, die radikal im öffentlichen Raum bspw. in der Pizzeria von nebenan durchzublättern, daheim (intensiv) zu lesen oder gar zu studieren. Vielmehr soll damit zum einen der Charakter dieser radikal-Reihe kenntlich gemacht werden, und zum anderen soll bewusst ein Bezug zu früheren Veröffentlichungen aus den Strömungen der revolutionären Linken hergestellt werden, die sich aufgrund von Kriminalisierungen und Verboten u.a. eine “Tarnung” zulegen mussten. Wir haben da z.B. die profanen Covergestaltungen von Büchern vor Augen, in denen nach dem flüchtigen Überschlagen der ersten Seiten gesammelte Schriften der RAF zum Vorschein kamen. Demnach folgt auf die “Schwarze Reihe” die “Tarnkappen-Reihe” der radikal. Auch hier handeln wir nach dem Motto “Wir heben uns in der Kontinuität der radikal von unseren VorgängerInnen ab”. (Zu einer “ordentlichen” Tarnschrift wie der radikal gehört selbstredend ein fingiertes Impressum (Verlag, Druckort etc.) und AutorInnenangaben sowie presserechtlich Verantwortliche, die vielleicht im Telefonbuch stehen, aber für den Inhalt nicht wirklich zur Rechenschaft zu ziehen sind)
Die äußere Form, sprich der “gestalterisch wertvolle” Tarnumschlag, ist keineswegs unwichtig in den konzeptionellen Überlegungen der radikal. Dieser Mantel hält den “gewichtigen” Inhalt sozusagen verborgen. Form und Inhalt sind somit aufeinander abgestimmt, korrespondieren miteinander. Der kriminalisierte Inhalt gibt sich der Form halber harmlos, unverfänglich, die “Brisanz” erschließt sich erst bei der Lektüre und während der nachfolgenden Reflexion.
Neben den Lenin’schen und Most’schen Bezugslinien, die wir im vorangehenden Abschnitt hergeleitet haben, ziehen wir hier eine förmlich-inhaltliche Querverbindung zu dem verbotenen Schrifttum und den Tarnschriften verschiedener Zeitabschnitte des Wirkens der revolutionären Linken. Hiermit meinen wir die untersagte proletarisch-revolutionäre Literatur während des kaiserlichen Wilhelminismus zur Zeit des sog. Sozialistengesetzes, die strafrechtlich verfolgten antimilitaristischen Veröffentlichungen im Ersten imperialistischen Weltkrieg der Gruppe Internationale und die staatlich bekämpfte Publizistik des Spartakusbundes sowie die publizistischen Erzeugnisse der KPD in den Jahren der Weimarer Republik, die mit entsprechenden Presse-Notverordnungen be- und zum Teil zeitweilig verhindert wurden. Allein “Die Rote Fahne” wurde 1931 insgesamt 84 Tage, 1932 insgesamt 133 Tage verboten. Von besonderer Bedeutung, da jeder Schritt ein unmittelbar lebensgefährlicher war, war die linke Presse, die während der nazi-faschistischen Periode vertrieben und verbreitet wurde.
Dabei ist die Veröffentlichungspraxis von kommunistischer Literatur gerade der letztgenannten Periode von Interesse. Nach der weitgehenden Zerschlagung der sozialdemokratischen, kommunistischen und anarchistischen ArbeiterInnenbewegung (wir unterlassen an dieser Stelle eine jeweilige ideologische Aufsplitterung der einzelnen proletarischen Teilbewegungen) durch den Nazi-Faschismus war ein legaler Druck und ein offener Vertrieb entsprechender Schriften ausgeschlossen. Aufgrund dessen war unter der Nazi-Diktatur die “getarnte” Verbreitung von kommunistischer Literatur zu einer notwendigerweise gängigen Praxis geworden. Vertriebliche und versandmäßige Wege und Mittel mussten gefunden werden, um interessierte Kreise mit der entsprechenden Literatur versorgen zu können.
Die klandestinen Vertriebswege inkriminierter Literatur der revolutionären Linken mussten originell gestaltet und ausgeklügelt werden, um sicher an den angepeilten Zielort zu gelangen. Most hat den erforderlichen Erfindergeist beim Vertrieb rückblickend für die Anfangszeit der “Freiheit” beschrieben: “An allen deutschen Grenzen wurde übrigens schon ohnehin nicht übel aufgepaßt, auf das ja keine ‘Freiheit’ nach diesen Gebieten verschleppt wurde. Bald wurde es in verlöteten Blechbüchsen, in denen dies und das (nach der Etiquette) sein sollte nur keine Zeitung, versandt, bald füllte sie die Zwischenräume doppelter Böden von Kleiderkoffern aus, dann wurde sie in die Höhlungen dicker Bambusrohre gestopft.”
Diese “abenteuerlichen Schmuggelmethoden” der “Freiheit” wurden von dem Hauptorganisator der “Roten Feldpost”, Julius Motteler, für das SAPD-Organ “Der Sozialdemokrat” infolge der sog. “Anti-Geheimbundstaktik” verworfen, da sie zudem “Spitzelerfindugnen” gewesen seien. (Richtig ist, dass im Nahumfeld der “Freiheit” tatsächlich bezahlte staatliche Söldner und Lockspitzel unterwegs waren) Motteler strich heraus, dass man mit einer solchen Vertriebsmethodik den “Feind”, sprich den staatlichen Verfolgungsapparat, nicht täuschen könnte. Statt dessen gibt er als Richtlinie aus: “Man muß seine Wege gehen und seine ‘Gewandung’ tragen und neben und hinter ihm Deckung suchen.” Diese Maßgabe sah er dadurch befolgt, indem der Vertrieb so normiert wie möglich, ohne Auffälligkeiten, abzulaufen hatte; u.a. wurde bei der postalischen Verschickung penibel darauf geachtet, ausreichend zu frankieren und das zulässige Gewicht für die “Roten Feldpostpakete” nicht zu überschreiten. Als es im wilhelminischen Reich trotz der drückenden Bedingungen des sog. Sozialistengesetzes riskierbar war, illegale Druckereien für den “Sozialdemokrat” einzurichten, wurden hin und wieder auf den alten grenzüberschreitenden Routen, bspw. an Schweizer Übergängen, bewusst “Fundstücke” hinterlassen, um die staatlichen Häscher durch vermeintliche Erfolgserlebnisse in die Irre zu führen. Damit sollte sowohl der Fahndungsapparat “kontrolliert beschäftigt” als auch den eigentlich gefährdeten Orten “Ruhe” verschafft werden.
Der illegale Transit des “Sozialdemokrat” und der flächendeckende Vertrieb über Knotenpunkte innerhalb des wilhelminischen Reiches wurde von sog. Vertrauensmännern (Korrespondenten) übernommen, die im Idealfall von der eigentlichen Parteiorganisation weitgehend abgeschirmt sein sollten. Dadurch sollte erreicht werden, dass im Falle des Auffliegens nur die Verbreitung sozialdemokratischer Literatur, aber nicht eine direkte Parteizugehörigkeit verfolgt würde. Die schriftliche Kontaktaufnahme aus der “Züricher Geschäftszentrale” des “Sozialdemokrat” mit den Vertrauensmännern erfolgte chiffriert und z.T. mit unsichtbarer Tinte, so dass nur mit Hilfe eines speziellen Verfahrens der Textverkehr leserlich gemacht werden konnte.
Die Dichte des über die Vertrauensmänner gesponnenen Vertriebsnetzes dokumentierte über den Verbreitungsgrad des “Sozialdemokrat” recht gut die organisatorische Ausdehnung und  Reichweite der deutschen Sozialdemokratie. Um das SAPD-Zentralorgan als kollektiven Organisator abzusichern, wurde ein “Abwehrsystem” geschaffen. Dem “Sozialdemokrat” fiel ganz im Sinne Lenins die Funktion zu, “die Zersprengten zu sammeln und sie wiederum instand zu setzen, den Kampf zur Rückeroberung der vollen Öffentlichkeit für unsre (sozialdemokratischen, Anm.) Lehren und Forderungen aufzunehmen”, so Motteler. Um das organisierende Flakschiff der sozialdemokratischen Publizistik vor dem Einsickern von “Spitzeln, Provokateuren und Irrlichtern” zu schützen,  schien eine vor allem nach innen wirkende Kontrollinstanz erforderlich.
In der Kombination und Koordination des “Roten Feldpostamtes”, des Vertrauensmännernetzes und des “Sicherheitsdienstes” konnte die regelmäßige klandestine Verbreitung des zentralen Organs der sozialdemokratischen Partei unter den Bedingungen staatlicher Repression gewährleistet und dazu beigetragen werden, dass die SAPD-Führung nicht nur mit der sozialdemokratischen AnhängerInnenschaft in Fühlung blieb, sondern dass sich die Partei beständig erweitern und Einfluss gewinnen konnte.
Unter dem Nazi-Faschismus wurden Hunderte von antifaschistischen Tarnschriften in der Mehrzahl im Ausland hergestellt, illegal in den NS-Staat transportiert und hier klandestin vertrieben und verbreitet. Tarnschriften, die antifaschistische Texte, Dokumente usw. enthielten, waren eine gängige Form, um dissidente kommunistische Literatur “gesichert” in Umlauf zu bringen. Der KPD-Funktionär Fritz Heckert schreibt hinsichtlich der äußeren Gestaltung solcher Schriften: “Sie erscheinen in einem in die Augen springenden Reklametext für irgendein Kaufhaus, eine Vertriebsstelle, für ein Theater, für ein Reiseunternehmen (…).” Und entsprechend waren die antifaschistischen Tarnschriften auch aufgemacht. Die Rede G. Dimitroffs im Reichstagsbrandprozess bekam den Tarnumschlag mit dem Titel “Warum nicht ein Musikinstrument?”, ein Bericht Molotows auf dem 17. Parteitag der KPdSU schmückte der Tarnumschlagtitel “Der Kanarienvogel. Ein praktisches Handbuch über Naturgeschichte, Pflege und Zucht des Kanarienvogels” und Lenins Vorlesung an der Swerdlow-Universität “Über den Staat” verbarg sich unter der Tarnung “50 Eintopfgerichte. Zum Gelingen der Winterhilfe 1934/35″.  Eine andere Tarnschrift unter dem Titel “Schacht, Hjalmar: Grundsätze deutscher Wirtschaftspolitik” vermittelte den deutschen AntifaschistInnen unter dem Deckblatt Regeln der konspirativen Tätigkeit, die auf den Erfahrungen der Bolschewiki und Lenins basierten. Etwa 80% der bislang recherchierten und archivierten Tarnschriften antifaschistischen Inhalts wurden von der KPD bzw. der Kommunistischen Internationale (Komintern) herausgegeben und über den Verteiler gegeben. Die KPD setzte hierfür eigens einen Technik-Apparat ein, in dessen Verantwortung die Herstellung und der Transport der “heißen Ware” fiel.
Entlang der Grenze zu Nazi-Deutschland, besonders in der Tschechoslowakei, der Schweiz, in Frankreich, den Niederlanden und in Dänemark war vor dem Ausbruch des zweiten imperialistischen Weltkrieges ein Netz von Stützpunkten der KPD mit festen Verbindungen ins Landesinnere aufgebaut worden. Über diese Kanäle erfolgte die illegale Einfuhr der antifaschistischen Tarnschriften. In nahezu allen Grenzländern um den NS-Staat herum waren bis zu ihrer faschistischen Okkupation Druckereien mit der Herstellung antifaschistischer Materialien beauftragt gewesen. Der Transport über die Landesgrenze setzte – wie zu anderen Zeiten – ein hohes Maß an Einfallsreichtum voraus. Da ging schon mal ein Paket mit brisantem Material auf einem Düngerwagen von der tschechischen auf die deutsche Landesseite über.
Neben dem Akt, die illegale Literatur durch “Kurierdienste” über die Grenze zu bringen, bestand anschließend das organisatorische Problem des Inlandtransports und der “Belieferung” von AbonnentInnen vor Ort. Ähnlich wie zu Zeiten des sog. Sozialistengesetzes sollte der Vertrieb an die “EndverbraucherInnen” aus Gründen des Repressionsschutzes von der eigentlichen Parteiorganisation bestmöglich strukturell-personell getrennt sein. Die Inlandskuriere, die den ersten Schritt für den Weitertransport nach dem erfolgten “Grenzübertritt” zu gewährleisten hatten, suchten eine nur ihnen bekannte Anlaufstelle auf, um das Material entgegenzunehmen, in kleinere Posten umzuverpacken und an den ebenfalls nur ihnen bekannten Literaturvertriebsmann des Bezirks auszuhändigen.
In den Hinweisen des ZK der KPD “Unser Litvertrieb in der Illegalität” heißt es zum weiteren Prozedere des Vertriebs wörtlich: “Die Verbindung mit dem Litvertriebsmann des Stadtteils oder des Unterbezirks hat nur ein Genosse der Zelle. Die Tätigkeit dieses Genossen darf nicht der ganzen Zelle bekannt sein. Nur der Zellenleiter bzw. der Genosse, der die Literatur von ‘oben’ in Empfang nimmt, brauchen dies zu wissen. Da der Genosse, der die Literatur an die Zelle heranbringt, eine sehr verantwortliche Aufgabe hat, ist es notwendig, ihn besonders zu sichern. Hier ist der Schnittpunkt, an dem der Gegner uns empfindlich treffen kann, (…) daß die Gestapo unseren Apparat von unten her aufrollt. Aus diesen Gründen darf der Litmann der Zelle, welcher die Verbindung mit dem Litvertriebsmann des Stadtteils oder des UBs (Unterbezirks, Anm.) hat, unter keinen Umständen gleichzeitig die erhaltene Literatur an die Zellenmitglieder verteilen. Sobald der Litmann die Literatur erhalten hat, gibt er sie einem zweiten Genossen, der sie an die Zellenmitglieder verteilt, und der nach dem Verkauf das Geld einzieht.”
Wir haben gesehen, wie unterschiedlich die Vertriebswege für die auf dem Index stehende Literatur beschaffen sein und ausgestaltet werden können. Es wäre natürlich fahrlässig, die aufgezeigten Beispiele aus ihrem jeweiligen gesellschaftlich-historischen Zusammenhang zu reißen und korrekturlos auf unsere heutigen und gegenwärtigen Bedingungen zu übertragen. Das, was wir aber als Anregung mitnehmen können, sind sowohl die vermeintlich “abenteuerlichen Schmuggelmethoden” Most’s (Zeitungen in Blechbüchsen “für concentrierte Milch”) als auch die geschilderten Methoden von Motteler, der eine Verschickung des illegalisierten “Sozialdemokrat” an die “EndverbraucherInnen” über die herkömmliche Post unter strenger Beachtung der Modalitäten (Frankierung, Gewicht, Verpackung) bevorzugte. Auch hier sehen wir eher sich ergänzende Methoden, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern je nach vorgefundener Situation Anwendung finden, d.h. der Lage entsprechend angepasst werden. Nicht zuletzt geben die Richtlinien der KPD aus der Zeit des illegalen antifaschistischen Widerstandskampfes den einen oder anderen Wink, wie ein “Verticken” kostümierten Schriftguts von statten gehen kann.
Wir haben uns in den hinter uns liegenden Absätzen in erster Linie mit den “Formalien” der Klandestinität im linken Pressewesen beschäftigt. Dabei haben wir einige “historische Rückgriffe” in Sachen klandestiner Literatur unternommen und deren  Vertriebsmodalitäten beleuchtet. Nun ist es angezeigt, auf die  inhaltlichen Aspekte einzugehen, die die Klandestinität eines Zeitungsprojektes im allgemeinen und der radikal im besonderen bestimmen.
Organisierte Klandestinität im Rahmen des Blattmachens ist dann eine Mindestvoraussetzung, wenn die eigene publizistische Tätigkeit nicht nur einen revolutionären Anstrich trägt, sondern tatsächlich im Sinne einer grundlegenden Umwälzung der herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse agitiert und zum Agieren “anstiftet”: den Worten haben nicht nur Taten zu folgen, der Tat folgt auch wiederum das Wort. In einer sich gegenseitig (ver-)stärkenden Wechselwirkung sollen Wort und Tat, Tat und Wort in Einklang gebracht werden, so dass die häufig wahrzunehmende Kluft zwischen theoretischer Rede und praktisch-organisatorischer Umsetzung des Redeinhalts so gering wie möglich wird.
Ist ein Blatt konzeptionell darauf ausgerichtet, Inhalte zu transportieren, die eine strafrechtliche Relevanz haben (z.B. der Abdruck von Bekennerschreiben oder die Verbreitung von Praxisanleitungen), so ist der Gang ins klandestine Unterholz eine strukturelle Schutzmaßnahme vor der drohenden Kriminalisierung, die ein offenes redaktionelles Arbeiten ausschalten würde. Ein richterliches Verbot einer derart gestrickten “Postille” wäre nur eine Frage der Zeit, deshalb stellt die vorab organisierte Klandestinität “nur” die Vorwegnahme dessen dar, was strukturell aufgebaut werden müsste, um nach einem Verbot mit unverändertem, zensurfreiem Inhalt das Zeitungsprojekt fortsetzen zu können. Ein Verbot einer klandestinen Publikation ginge nur “auszuhebeln” und in eine legalisierte Erscheinungsweise zu überführen, wenn man das Zeitungskonzept komplett umwerfen, d.h. sich den diktierten Bedingungen für das Herausbringen von Druckerzeugnissen unterwerfen würde. Das wäre unmittelbar mit dem Wegfall bestimmter, die Substanz des Blattes betreffender Inhalte verbunden. Allerdings lässt es sich bekanntermaßen in einem unterworfenen Zustand nicht aufrichtig und geradeaus formulieren. Das ist für uns nicht einmal eine denkbare Alternative; zumal man nicht nur die konzeptionelle Ausrichtung des Blattes entstellt, sondern ganz real eingestellt und beendet hätte.
Das, was in Worte gekleidet die zur Verfügung stehenden Zeilen der radikal füllt, ist von keinem bürgerlichen Gesetzesparagrafen bzw. der grundgesetzlichen Garantie der Pressefreiheit gedeckt. Der in Permanenz offen oder unterschwellig vorgetragene Aufruf, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen kann auch nicht die gesetzliche Weihe des bürgerlichen Rechts erhalten. Von daher ist auch jeder flüchtige Gedanke nach einer Re-Legalisierung der radikal ohne Grundlage. Und das Blatt so umzugestalten, dass daran kein Staatsanwalt mehr Anstoß nehmen könnte, hieße, sich als MacherInnen und HerausgeberInnen überflüssig zu machen, da man die publizistische Lücke, die mit der radikal gefüllt wird, wieder weit aufgerissen hätte. Es gibt allein deshalb für eine entkriminalisierte, legalisierte radikal keinen Platz, da wir im Zuge der Blattübernahme eine Situation des Kriminalisiert-Seins vorgefunden haben, die übrigens durch das Amtsgericht Berlin-Tiergarten bestätigt wurde, als der Beschluss in der Presse zu lesen war, die radikal Nr. 162 aufgrund der schriftlichen Praxisanleitung zum kombinierten Brand-/Sprengsatz der Marke “Gasaki” von den Revolutionären Aktionszellen (RAZ) bei vermuteten Szene-Verkaufsstellen einzuziehen.
Darüber hinaus denken wir, dass es kein weiteres Zeitschriftenprojekt auf dem dichten “linksradikalen Markt” braucht, das sich ohne spezifisches Profil unterschieds- und damit farblos zeigt. Die organisierte Gegenöffentlichkeit der revolutionären Linken kann auf eine Vielzahl von Erfahrungswerten der klandestinen Herausgabe und Erscheinungsweise von Publikationen zurückgreifen; hier spielt insbesondere die radikal mit ihrer wechselvollen Geschichte eine bedeutende Rolle. Die radikal mit ihrer Spezifik hat im Spektrum der publizistischen Möglichkeiten der revolutionären Linken allein deshalb eine Existenzberechtigung, da aufgrund der (nachvollziehbaren) Kriminalisierung der Aktivitäten von AnhängerInnen des langfristig vorbereiteten bewaffneten Massenaufstands der Raum für eine legale, offene Artikulation naturgegeben klein bzw. völlig verbaut ist. “(…) diesen Mangel”, so der Genosse Lenin, “müssen wir offen zugeben und unsere Kräfte darauf richten, eine mehr konspirative Organisation der Arbeit zustande zu bringen, die Regeln für die Arbeit und die Methoden zur Täuschung der Gendarmen und zur Umgehung der Fallstricke der Polizei systematisch zu propagieren.” Und genau dazu sind wir bereit und stellen das entsprechende publizistische Forum “interessierten Kreisen”, die dieses praktisch zu beackernde Themenfeld zu hegen und zu pflegen wissen, gerne zur Verfügung. Die radikal wird der publizistische Aufenthaltsort für eine konzentrierte, aufeinander aufbauende, bezugnehmende und vor allem zensurfreie Debatte um Fragen und Antworten umstürzlerischer Art.
D.h., dass unter diesen Voraussetzungen eine klandestin produzierte und vertriebene revolutionäre “Postille” im Umkehrschluss einen spürbaren Bedeutungszuwachs bekommt, denn über dieses Medium kann der (kontroverse) Diskussionsraum, der uns als GenossInnen der Revolutionären Linken (RL) nicht so ohne weiteres gegeben ist, in Teilen anderweitig geschaffen werden. Die Zeitung wird als kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator zu einem Ersatz, allerdings zu keinem “minderwertigen”, weil die Publikation nicht ein Ausdrucksmittel unter beliebig vielen ist, sondern ein, wenn nicht das zentrale für Formen, Mittel und Methoden revolutionärer Politik, die sonst in dieser Konzentriertheit kein Ventil finden. Hier kann sich u.a. eine erweiterte und vertiefte Militanzdebatte ungeniert ausbreiten und direkt an jenen maßgeblich von der militanten gruppe (mg) getragenen inhaltlich-praktischen Austausch unter Militanten aus den Jahren 2001 bis 2009 anknüpfen. Und ganz “nebenbei” wirkt die radikal in einem präventiven Sinne, sie sensibilisiert für und informiert über die Facetten der organisierten Klandestinität im “Polit-Betrieb”.
Hinsichtlich der organisierten Klandestinität wollen wir uns noch mit einem Erfahrungswert Lenins befassen, den wir als These einbringen: “Die Zentralisierung der konspirativen Funktionen der Organisation bedeutet keineswegs die Zentralisierung aller Funktionen der Bewegung. Die aktive Mitarbeit der breitesten Massen an der illegalen Literatur wird nicht geringer, sondern zehnmal stärker werden, wenn ein ‘Dutzend’  Berufsrevolutionäre die konspirativen Funktionen dieser Arbeit zentralisieren. So und nur so werden wir es erreichen, dass das Lesen der illegalen Literatur, die Mitarbeit an ihr, zum Teil auch ihre Verbreitung fast aufhören werden, eine konspirative Angelegenheit zu sein, denn die Polizei wird sehr bald einsehen, wie sinnlos und unmöglich es ist, wegen eines jeden Exemplars der zu Tausenden verbreiteten Schriften endlose gerichtliche und administrative Verfahren einzuleiten.” Wenn wir diese Aussage Lenins in unsere politische Wirklichkeit übersetzen, dann leistet nicht nur der klandestine HerausgeberInnenkreis mit der Erstellung der Zeitung  eine (potentielle) Außenwirkung, sondern die AbnehmerInnen und Weitergebenden sorgen – von der Mühe der Zeitungsherstellung entlastet – ihrerseits im Rahmen eines (lose strukturierten) Vertriebsnetzes für eine Verbreitung der Blattinhalte. Über diesen arbeitsteiligen Weg kann sich unter günstigen Voraussetzungen das klandestine Produkt vermassen.
Und wie wir uns dies so im Konkreten mit der radikal – publikation der revolutionären linken vorstellen, soll unter Wahrung der “konspirativen Regeln” im folgenden Abschnitt gestreift werden.

Was heißt es, die radikal als Projekt- und Strömungsblatt herauszugeben – oder wie kann die radikal zu einem repräsentativen Organ der revolutionären Linken werden?

Eine Handvoll Allgemeinplätze vorneweg: Die Revolutionäre Linke (RL) als ein informeller Zusammenschluss von AktivistInnen aus den Reihen der  heterogenen Strömung der “linksradikalistischen Kinderkrankheit” hat 2009 die Initiative übernommen, um die Voraussetzungen und Erfordernisse für das Erscheinen des  “publizistischen Organs” radikal zu re-organisieren. Seit dem hat die radikal – publikation der revolutionären linken drei mal aus dem “Versteck” heraus das Tageslicht erblickt.
Die radikal ist vom vormaligen HerausgeberInnenkreis nach der Nummer 160 im Frühjahr 2007 faktisch eingestellt worden. Es gab mehr als zwei Jahre keine Anzeichen, dass die “Schwarze Reihe” weiter erscheinen würde. Es war kein Versuch erkennbar, dass in irgendeiner Form eine Erläuterung einer möglicherweise eingetretenen neuen Situation erfolgen würde, die der interessierten LeserInnenschaft das Nicht-Erscheinen hätte plausibel machen können. Und da die radikal keine privatistische Unternehmung eines ehemaligen herausgebenden Zusammenhangs ist, die nach individuellem Befinden erscheint oder auch nicht, hat sich ein Kollektiv von GenossInnen gefunden, um dieses “Untergrundblatt” aus dem (unfreiwilligen) Delirium zu holen und auf’s Podest zu heben. Dieser Entscheidung gingen verschiedene Überlegungen voraus, wobei eine der entscheidenden war, dass einerseits die Kontinuität des Blattes gewahrt bleiben sollte, sozusagen das konservative Motiv, und dass andererseits eine Konzeptveränderung unternommen werden sollte, sozusagen das progressive Motiv. Also eine (behutsame) Veränderung in der (recht elastischen) Kontinuität der dreieinhalb Jahrzehnte währenden Geschichte der radikal. Wir halten es nur für natürlich, dass eine Fortsetzung nicht ohne die Setzung neuer Akzente geschehen kann. Allein deswegen nicht, weil die lange Phase des Nicht-Erscheinens der radikal ein offenkundiger Beleg ist, dass unsere VorgängerInnen an (leider nicht kommunizierte) Hürden getroffen sein müssen, die unüberwindlich schienen, vielleicht auch tatsächlich waren.
Allerdings haben wir uns während unserer Überlegungen auch die folgende Grundsatzfrage gestellt: Braucht es ein solches Blatt überhaupt oder erliegen wir einem “Mythos”? Eine solide Beantwortung dieser Frage wird dann noch um einiges Akuter, wenn der spezielle Aufwand einer regelmäßigen Realisierung der radikal mitberechnet ist. Wir haben versucht, uns eine Antwort im Rahmen einer kleinen historischen Analyse klandestiner Publizistik, die mit diesem Text zugänglich vorliegt, zu erarbeiten. Dieser Weg der Aufarbeitung kann insofern ein nützlicher Beitrag sein, als er die Produktion falscher Analogien zur Scheinlegitimation politisch-literarischer Positionen bloßlegt. Eine eher rückblickend angelegte Beschäftigung mit “unterirdischer Literatur” aus früherer Zeit bezweckt aber nicht, neuen einfachen Analogieschlüssen Vorschub zu leisten. Vor dem Hintergrund einer Einschätzung der heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ist zu überprüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die einem bestimmten historischen Zusammenhang verhafteten Erfahrungen der revolutionären Linken wieder in die politische und publizistische Praxis eingeführt werden können. Deshalb wird die theoretische und historische Bedingtheit dieser Formen revolutionärer Presse nicht außer acht gelassen, sondern gerade als Voraussetzung für deren Verständnis berücksichtigt. Es kam für uns demzufolge darauf an, gerade die Probleme erneut zu durchdenken, die bei der Herausbildung einer “Untergrundpresse” auftreten und oft nur unzureichend gelöst werden. Wir hatten herauszuarbeiten und einzelne Etappen der Geschichte revolutionärer Untergrundpresse nach den Aspekten hin zu untersuchen, welche Beziehung zwischen politischer Zielsetzung, Struktur des “publizistischen Apparats” und journalistischer Form bzw. inhaltlich-theoretischer Aufarbeitung bestand.
Mit der Einordnung der radikal in eine teilweise weit zurückreichende Traditionslinie klandestiner Publizistik und der Schließung einer Lücke im linksradikalen Blätterwald infolge ihres Wieder-Erscheinens, haben wir eine Fortsetzung dieser Zeitung unter anderen Vorzeichen und mit neuen Akzenten beschlossen. Die radikal hat hierzu ihr äußeres Erscheinungsbild und z.T. ihren inneren Aufbau einer Revision unterzogen, um “mit neuem Schwung” in die nächste Runde zu gehen. Es lag aus unserer Sicht ganz weit oben auf der Liste der Agenda der zu erledigenden Dinge, ein zentrales Organ der revolutionären Linken zu schaffen und kontinuierlich abzusichern. Wir wollen auch nicht den (mobilisierenden) Faktor unterschätzen, dass allein schon das regelmäßige Erscheinen eines kriminalisierten Blatts einen gewissen Eindruck auf die erreichte LeserInnschaft erzeugt; es zeigt, dass organisierte Teile der revolutionären Linken trotz staatlicher Drangsalierung und Verfolgung das Motto “lebt und lest radikal” umzusetzen verstehen. (Zu den einzelnen Aspekten insbesondere des inneren Aufbaus kommen wir weiter unten ausführlicher)
Es ist richtig, dass das Machen eines klandestinen Sprachrohrs und Bewegungsmelders nicht zu den einzigen Aufgaben eines revolutionären Organisierungsprozesses gehört. Allerdings stellt die Konzeption der radikal organisatorische und logistische Anforderungen an das herausgebende Kollektiv, die mit einem “ordinären” Blatt nicht vergleichbar sind. Die radikal ist ein Dreh- und Angelpunkt im komplexen revolutionären Aufbauprozess. Es ist, allgemein gesprochen, höchst unwahrscheinlich, dass eine einheitlicher werdende Organisierung ohne ein publizistisches Aushängeschild auskommen kann, ohne eine periodisch erscheinende Plattform, in der sich der Verlauf des Zusammen Kämpfens darstellen kann und abbilden lässt. Damit eröffnet sich auch die Option, dass diejenigen GenossInnen, die die klandestine “Postille” stetig in Umlauf bringen, einen (größer werdenden) Kreis von AbnehmerInnen und LeserInnen finden, die als “Peripherie” des Zeitungsprojektes einerseits Stück für Stück mehr eingebunden werden können und andererseits einen direkten Draht in Strömungen der revolutionären Linken bedeuten.
Die MacherInnen der radikal haben das Blatt über die redaktionellen Brüche, konzeptionellen Verschiebungen und politischen Großwetterlagen hinweg stets innerhalb der radikalen Linken verortet. Dieser wechselvolle Verlauf dieses Periodikums weist zumindest an diesem Punkt eine klare Orientierung auf. Von dieser kontinuierlichen Standortbestimmung einmal abgesehen, zeigte sich die radikal “mit Absicht” als durchaus uneinheitlich; zumindest derart uneinheitlich, wie sich die (autonome) linksradikale Szene mit einigen ihrer Verästellungen darstellte. (Der autonom-kommunistische (Minderheits-)Flügel innerhalb des autonomen Milieus konnte sich in der radikal kaum repräsentiert sehen. Der Versuch, ein eigenes Medium mit der Zeitschrift “initial” zu etablieren, scheiterte bedauerlicherweise nach nur einigen wenigen Ausgaben 2003)
Die bisherigen und vergangenen Redaktionskreise und -kollektive haben sich zwar als BlattmacherInnen innerhalb der radikalen Linken bewegt, aber nicht als Angehörige eines spezifischen politischen Projektes, das die radikal sowohl als Sprachrohr eines organisatorischen Zusammenhangs als auch als Forum einer bestimmten “ideologischen Richtung” verstand. Das Redaktionskollektiv der “Tarnkappen”-radikal ist dagegen eine Struktur der RL; die RL ist wiederum ein organisierter  Ausdruck der heterogenen revolutionären Linken. RL und revolutionäre Linke stehen damit in einem direkten Austausch- und Wechselverhältnis zueinander, und damit ist die radikal als ein inhaltlicher Multiplikator von RL-Positionen und (mitunter kontroversen) Positionen aus verschiedenen Zusammenhängen der revolutionären Linken konzipiert. Über diesen vital zu gestaltenden Verständigungs- und Organisierungsprozess laufen RL und revolutionäre Linke Schrittfolge für Schrittfolge aufeinander zu, bis die gewonnene Übereinstimmung (im Idealfall) faktisch dazu führt, dass eine Unterscheidung zwischen RL und Teilen  der revolutionären Linken überflüssig geworden ist. Die RL ist eine Verschmelzung im Kleinen, eine, die das Zusammenkommen auf einer inhaltlichen, praktischen und organisatorischen Ebene von GenossInnen aus Gruppenzusammenhängen der revolutionären Linken als Projekt verwirklicht hat. Die RL sehen wir als eine Art Vorlage für einen Organisierungsprozess in der revolutionären Linken insgesamt, als einen realen Versuch, über die Klarheit zur Einheit zu gelangen. Eines der zentralen Verbindungs- und Vermittlungsstücke spielt dabei die radikal.
Bereits im Vorwort der radikal 162 (Winter 2010) schrieben wir, dass sich die radikal in einer “Doppelexistenz” bewegt; sie ist als gruppenspezifisches Projekt der (RL) und als Strömungsausdruck der revolutionären Linken zu verstehen: “Was an unserem Anlauf neu ist, ist, dass eine vorher existierende Struktur, ein konkreter Organisierungsansatz – die RL – das Projekt verwirklicht. Vielleicht ist nicht einmal das wirklich neu, sondern dass wir als informelle Struktur mit Namen nach außen treten. Als RL begreifen wir uns einerseits als ein organisatorisches Strukturfeld eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses, andererseits dokumentieren wir mit dieser Bezeichnung eine strömungspolitische Richtungsentscheidung in unserem politischen Spektrum. Projekt und Strömung sind die beiden von uns zu verbindenden Elemente der Organisierung als RL. Das aus unseren Zusammenhängen angestoßene RL-Projekt bewegt sich innerhalb der von uns definierten Strömung der antagonistischen Linken. Wir repräsentieren einen spezifischen gruppenübergreifenden Zusammenhang und nicht die Strömung in ihrer (durchaus heterogenen) Gesamtheit. Dementsprechend brauchen wir die offene Debatte mit möglichst weiten Teilen der revolutionären bzw. radikalen Linken.
Und da sind wir auch schon bei der zweiten Charaktereigenschaft der radikal, dass sie unbedingt ein Strömungsausdruck sein muss, will sie eine optimale Wirkung entfalten. Nur über einen kontinuierlichen Diskussions- und Annäherungsprozess der revolutionären und radikalen Kräfte kommen wir zu einem Organisierungsprozess, der den Horizont einer Befreiungsperspektive eröffnet.”
Wir haben in den zurückliegenden Ausführungen stark auf den Modellcharakter einer Zeitschrift als kollektiven Propagandisten, Agitator und Organisator und auf das Zeitungsmodell “literarischer Freischärler” unter klandestinen Bedingungen verwiesen. Insbesondere vor dem Hintergrund der konzeptionellen Vorstellungen, die wir in die radikal als Organ der (RL) und Blatt der revolutionären Linken gelegt haben, haben wir erst einmal eine ganze Menge an “Theorie” in die Luft geblasen. Die reale Umsetzung steht jetzt an. Aber wie bei allen Modellen, so haben auch jene gerade in der realen Umsetzung so ihre Tücken, Fallstricke und Grenzen. Deshalb wäre es, wie wir betont haben, grob fahrlässig und zum Scheitern verurteilt, wollten wir etwas 1zu1 nachahmen. Bezugslinien zu haben, heißt, keine blinde Übertragung zu versuchen, sondern Potentiale aus früheren und vergangenen publizistischen Anläufen und Projekten zu entdecken, die einen schöpferischen Eingang in heutige, gegenwärtige Versuche finden. Zu den Tücken, Fallstricken und Grenzen wollen wir nun übergehen.
Die Geschichte des klandestinen Pressewesens der revolutionären Linken lehrt und erklärt uns, dass die Beziehungen zwischen den organisierten Strukturen und der kriminalisierten und illegalisierten publizistischen Ausdrucksformen sehr verschieden sein können. Im Falle des “Sozialdemokrat” schuf eine bereits existierende parteipolitische Formation, auch wenn diese infolge des “Sozialistengesetzes” erheblich desorientiert und desorganisiert war, ihr Zentralorgan neu; im Falle der verstreuten russischen sozialdemokratischen Zirkel um die Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts war die “Iskra” der Fokus, um den herum sich eine stabile Parteistruktur entwickeln konnte, auch wenn dies aufgrund der zaristischen Repression und der schnell aufkommenden parteiinternen Differenzen (Bolschewiki vs. Menschewiki) nicht reibungslos verlief.
Wieviel publizistischen “Bewegungsspielraum” lässt ein Blatt, was sich u.a. als ein Projekt eines politischen Gruppenzusammenhangs begreift für “projektungebundene” Strömungen der revolutionären Linken und deren Meinungen und Positionen zu, damit sich der Versuch einer vereinheitlichten Linie nicht in diversen Neben-, Unter- und Unter-Unterlinien bis zur völligen Unkenntlichkeit verliert?
Die Besonderheit der radikal ergibt sich aus ihrer (relativen) politischen und organisatorischen Selbständigkeit, ihrer Aufgabe, weder für eine nebulöse Öffentlichkeit zu schreiben noch am Gängelband einer Organisation zu hängen. Sie hat in erster Linie dazu beizutragen, dass sich die AnhängerInnen der revolutionären Linken als Ergebnis “praktischer Aktion” durch eigene Erfahrungen sammeln und zusammenfinden. “Stoff” hierfür gibt es in jeder neuen Ausgabe der radikal.
Hieran schließt sich die Frage nach dem AdressatInnenkreis der radikal an. Der Radius der radikal war und ist durch verschiedene Faktoren begrenzt, ungewollten und auch gewollten, die sich aus ihrer Konzeption ergeben. Sie kann nicht als Massenblatt einer großen proletarischen Öffentlichkeit funktionieren. D.h., sie ist nicht angelegt, alle aus unserer Klasse zu erreichen. Damit wäre sie zudem heillos überfordert und überfrachtet. Die radikal ist ein Blatt der Revolutionären Linken (RL) für die revolutionäre Linke. Die revolutionäre Linke sehen wir in dem ideologischen Spannungsbogen (links-)kommunistischer, (räte-)kommunistischer, anarcho-kommunistischer und syndikalistischer/unionistischer Gruppierungen verortet. Dieses Spektrum wird einigen GenossInnen als zu eng gefasst erscheinen, anderen wahrscheinlich als zu weit gefasst aufstoßen. Damit können wir politisch leben; und vor allem ist es unser Job, dass dieser Spannungsbogen ausgehalten wird und in der radikal seinen publizistischen “Transmissionsriemen” findet.
Das ist ihre Reichweite, in der sie sich als  kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator sowie literarischer Freischärler bewegt. Innerhalb eines solchen definierten Betätigungsrahmens kann sie zu einem Leitmedium werden. Mit dieser publizistischen Zielstellung wird sie ausreichend zu schaffen haben. Es wird aber auch darauf zu achten sein, dass sich keine Tendenz breitmacht, die das illegalisierte und kriminalisierte Blatt, und vor allem die radikal, als Selbstzweck verengt. Sie ist nur ein Kampf- und Ausdrucksmittel der revolutionären Linken und nur eines aus ihrem (reichhaltigen) Sortiment. Einem solchen “Untergrundmagazins” darf auch nicht der Typus eines “Sektenblättchens” anhaften. Vielleicht würde es noch als publizistisches Kuriosum durchgehen und belächelt, ein repräsentatives Medium der revolutionären Linken ist so jedenfalls nicht zu etablieren.
Die organisierte revolutionäre Linke wird in ihrer Propaganda und Agitation differenziert auftreten und vorgehen müssen. Eine Differenzierung ihres Pressewesens ist allein deshalb folgerichtig, da mit bestimmten schriftlichen Erzeugnissen ein bestimmtes Klientel angesprochen werden soll. Es ist  nicht möglich, dass eine publizistische Flüstertüte alles an Interessen und Meinungen selbst der proletarischen Klassen widerspiegeln wird können. Da werden praktisch umgesetzte Überlegungen her müssen, wie und unter welchen Voraussetzungen verschiedene Medien etabliert werden können, die jeweils entsprechend “zugeschnitten” sein müssen, um als Ausdrucksmittel auch anerkannt zu sein. Die Umsetzung einer differenzierten Propaganda und Agitation hängt aber maßgeblich vom organisatorischen und logistischen Leistungsvermögen derer ab, die derlei Planspiele realisieren wollen. Es ist organisatorisch und logistisch aber kaum drin, mehrere klandestine Blätter herauszubringen, die jeweils eine inhaltlich-theoretische Ausrichtung bedienen und dann in der Summe “alle politischen Geschmäcker” paritätisch befriedigen. Die Schwerpunktsetzung innerhalb unseres “ideologischen Rahmens” fällt bereits jetzt schwer, sie wird nicht nur ein periodisch aufkommender Diskussionspunkt sein, sondern auch immer wieder neu austariert werden müssen.
Es hängt vor allem von den Zeitumständen ab, welchen Inhalt (und welche Form) man einer klandestinen Zeitung geben muss, damit sie “zielentsprechend” wirken kann und eine Resonanz erfährt. Wenn es in Zeiten geringer offen ausgetragener Klassenkämpfe oder gar in einer Phase weitgehender Demoralisierung u.a. vorrangig darum gehen muss, den publizistischen Raum für eine Reflexion vergangener Konfrontationen zu stellen, das “ideologische Rüstzeug” neu zu sortieren und das Versinken in kleinmütige Gleichgültigkeit zu verhindern, so muss es in pulsierenden Perioden zur wichtigsten zu erfüllenden Aufgabe werden, das Handeln im Sinne einer fortschreitenden Revolte zu beeinflussen, den Aktionen Weg und Ziel zu weisen und so den organisierten Klassenkampf von unten zu verstärken.
Hieran knüpft die Frage nach der Sprache und Ausdrucksweise, die im Blatt gewählt wird, an. Diese Problematik skizzierte Lenin in seinem Aufsatz über eine “Rückläufige Richtung in der russischen Sozialdemokratie”, indem er darauf hinwies, dass die kommunistische Agitation und Propaganda ihr Niveau nicht künstlich auf das Niveau der rückständigen Arbeiter senken dürfe, sondern es im Gegenteil ständig heben, alle taktischen, politischen und theoretischen Fragen der internationalen Arbeiterbewegung verfolgen und letztlich auch die rückständigen Arbeiter auf das Niveau der fortgeschrittenen Arbeiter bringen müsse. Wenn die Frage nach dem “Niveau” der Blattinhalte gestellt wird, dann soll der publizistische Lautsprecher der revolutionären Linken nicht “akademisiert” werden, sondern ein inhaltlich-theoretisches Maß gefunden werden, wie das Gesamtszenario der sozialrevolutionären und antiimperialistischen Befreiungsperspektive vermittelt werden kann. Der theoretische Kampf und dessen inhaltliche Aufbereitung ist wahrlich keine Nebensächlichkeit. Wenn eine klandestine Zeitung als kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator im Kontext eines komplexen revolutionären Aufbauprozesses wirken soll, dann kann das u. a. nur unter der Voraussetzung gelingen, wenn ein Panorama einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung entworfen wird. “Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben” (Lenin), eine Bewegung, die den theoretischen Entwurf einer neuen Gesellschaftlichkeit im praktischen Kampf aufkeimen lassen will. Es kann doch auch nur im Interesse der radikal liegen, das sie ein Forum ist, in dem theoretische Fragen mehr und mehr berührt werden, damit eine Grundlage der Auseinandersetzung gegeben ist, die zum Annäherungs- und Verständigungsfortgang in den Reihen der revolutionären Linken beiträgt.
Die Formen der Beziehungen zur interessierten LeserInnenschaft der radikal sind spätestens seit der Kriminalisierung Mitte der 80er Jahre grundverschieden zu jenen anderer Blätter aus den Radaktionsecken der (revolutionären) Linken. 1986 wurde gegen gut 100 Buchläden und VerkäuferInnen, die die radikal zirkulieren ließen, eine Repressionswelle gestartet, um dem Blatt das Wasser abzugraben. Vor diesem Kriminalisierungshintergrund wurde das Motto “Die Verteilung der radikal kann nur Sache aller LeserInnen sein” kreiert, das seitdem nichts an Wahrheit eingebüßt hat. Sind diese Beziehungen fest und ist kein eingleisiges Verhältnis zwischen MacherInnen und LeserInnen/RezipientInnen entstanden, so sind sie der Garant für eine weitere Entwicklung dieser besonderen Publikation. Führt man sich die Erscheinungsbedingungen dieser untergründigen Illustrierten vor Augen – chronisch schlechte finanzielle Situation, kein offizieller Kioskverkauf, kein bezahltes Anzeigengeschäft, Kriminalisierung etc. -, so wird klar, dass ein solches Blättchen unter rein ökonomischen Gesichtspunkten gar nicht hätte existieren können. Hinzu kommt, dass das Blattmachen keine Tätigkeit des Broterwerbs ist, sondern eine idealistische Freizeitbeschäftigung.
Vor allem ist ein Selbstverständnis einer revolutionären, emanzipatorischen Publizistik nötig, die einerseits durchaus die Aufgabe der Vermittlung von nicht präsenten Fakten und Kenntnissen sieht, andererseits aber sowohl das Publizieren als auch den Prozess der praktisch und organisatorisch umzusetzenden politischen Schlussfolgerungen als kollektiven Prozess versteht. Emanzipatorisch-revolutionäre Publizistik somit nicht nur als Vermittler, als Organ des Verständlichmachens, sondern gerade auch als Organ der Selbstverständigung. Die LeserInnen/RezipientInnen wären nicht einfach als “Zielgruppe” auserkoren, schlimmstenfalls als politische Manövriermasse, sondern ebenfalls Teil eines kollektiven Lern- und Organisierungsprozesses, in dem sich vor allem auch ein Bewußtwerdungsprozess als revolutionäre Linke ausdrückt.
Die Existenz einer solchen “Postille” ist nur möglich und dauerhaft zu realisieren, wenn sie nicht beliebiger Lesestoff, sondern von den Fraktionen und Spektren der revolutionären Linken  insgesamt, zumindest aber ihrer militanten Anteile, mitgestalteter Ausdruck ihres Denkens und Handelns ist. Von dieser Verbindung hängt wahrlich ihr Leben ab und das hebt wiederum das Verhältnis zwischen den BlattmacherInnen, die ja auch mehr unfreiwillig in diese Rolle geraten sind, und dem lesenden Umfeld auf eine qualitative Stufe, die nur zu erklären ist, wenn man die große politische Schnittmenge zwischen beiden berücksichtigt.
Für ein Blatt wie die radikal ist die Auflagenstärke zweitrangig. Sie kann hinsichtlich ihres politischen Einflusses nicht nach der Höhe ihrer Auflage beurteilt werden. Kann vor allem unter illegalisierten Bedingungen das konspirativ hergestellte Blatt nur in beschränkter Auflage verteilt werden, so ist es umso wichtiger, dass es “MultiplikatorInnen” und “personell-strukturelle Schnittstellen” in der revolutionären Linken erreicht, also diejenigen, die in der Lage sind, eine Weiterverbreitung hinzubekommen. Entscheidend sind auch hier, welche “Verbindungen” angedockt werden können. Zudem setzen wir darauf, dass solidarische GenossInnen eventuelle Engpässe in der Verteilung durch eine kopierte Neuauflage o.ä. beheben können.
Wenn wir ein Zwischenfazit für das “Konzept klandestine Zeitung” ziehen wollen, dann können wir  in Hinsicht auf die konkrete Blattgestaltung drei Punkte festhalten. Erstens soll der Charakter der radikal und ihr Wiedererkennungswert u.a. über die “Tarnkappe” transportiert werden. (Dazu haben wir in diesem Beitrag schon diverse Worte verloren) Die radikal versteht sich als “Syntheseversuch” eines kollektiven Propagandisten, Agitators und Organisators sowie als literarischer Freischärler (Auch hierzu haben wir lange Ausführungen gemacht)
Zweitens wird die “Postille”, um speziell zum inneren Blattaufbau zu kommen, künftig stärker in feste Rubriken unterteilt werden. Damit soll es besser gelingen, eine aufeinander bezugnehmende und weiterführende Auseinandersetzung zu führen. Der Inhalt der radikal wird damit ein Stück weit “berechenbar”, vor allem für GenossInnen, die uns Texte zu bestimmten Rubriken zukommen lassen wollen. Auch hier werden wir die Erfahrungswerte abwarten müssen, ob sich u.a. mit der Festlegung von Inhaltsrubriken die radikal in ihrem Profil schärfen lassen wird. Neben einem üblichen Vorwort und einer Übersicht über die in einer radikal-Ausgabe zu findenden Artikel soll es die Rubrik geben, in der Texte der Revolutionären Linken (RL) und bspw. Anschlagserklärungen oder sonstige Beiträge zu militanter Politik von den Revolutionären Aktionszellen (RAZ) dokumentiert sind. In jeder Nummer wird es ein Schwerpunktthema geben, das in der jeweils aktuellen für die kommende Ausgabe angekündigt werden wird. Daneben stellen wir uns als weitere Rubrik eine vor, in der es um aktuell “brennende Fragen” geht. Damit sich in der radikal künftig die zwei inhaltlichen Hauptlinien von sozialer Revolution und Antiimperialismus widerspiegeln, werden wir neben der bereits bestehenden Rubrik “international classwar” eine unter dem Titel “sozial-revolutionärer Widerstand” einführen. Auf die “Bastelecke” wird selbstverständlich nicht verzichtet. Wir werden diese aber um einiges weiter fassen und nicht nur auf eine Beschreibung von Zündmechanismen für Brandsätze o.ä. beschränken. Dies dokumentiert sich ja schon an der bisherigen Vielfalt der Verbreitung von Vorschlägen fürs “Do it yourself” (z.B. in der anleitenden Darstellung der Stencils als Ausdruck einer “militanten Propaganda”). Eine Kenntnisvermittlung von alternativen Interventionsmitteln und praktische Handlungsanleitungen  werden also weiterhin ein nicht wegzudenkender Bestandteil der radikal sein und bleiben. Artikel, die unter dem Stichwort der “Aneignung der Widerstandsgeschichte der revolutionären Linken weltweit” stehen,  haben wir in den ersten beiden “Tarnkappen”-radis vorgestellt. Wirklich neu ist dagegen eine Rubrik, die sich mit einem Themenfeld befassen wird, das oft als “vor-politisch” abgetan und häufig nur eine schmückende Randexistenz führt. Wir reden von einer von uns zu schaffenden Rubrik “revolutionäre Kunst & Kultur”. Revolutionärer Widerstand ist ein Resultat der herrschenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse des kapitalistisch-imperialistischen Systems. Staatliche Repression versucht diesem u.a. durch “Exekutivmaßnahmen” den Boden zu entziehen. Politische Prozesse, Verurteilungen und Haftstrafen sind eine bekannte Folge, d.h. wir brauchen eine Rubrik “politische und revolutionäre Gefangene”, um klarzustellen, dass unsere GenossInnen hinter den dicken Knastmauern weder vergessen noch aus unseren Zusammenhängen ausgeschlossen sind. Eine letzte Rubrik, das wäre die zehnte, sollte Reaktionen und Resonanzen einfangen, die es auf Veröffentlichungen in der radikal von solidarischen oder auch bedingt solidarischen Menschen und Gruppenstrukturen geben sollte. Wir werden sicherlich nicht in jeder Ausgabe alle Rubriken inhaltlich abdecken können, jedenfalls nicht in der gedruckten Version, da dies schlicht und einfach den Seiten-Rahmen sprengen würde.
Drittens verschafft uns die neu gestaltete und sicherheitstechnisch auf den aktuellsten Stand gebrachte RL-Homepage, auf der die radikal-Ausgaben zu finden sein werden, eine breitere Präsenz. Die radikal ist ab sofort über den elektronischen Postweg erreichbar, den wir ebenfalls einem Sicherheitscheck unterzogen haben. Ein herkömmlicher Briefkasten für “Kummer & Sorgen” in Sachen radikal wird es nicht mehr geben, da “Aufwand & Ertrag” in keinem Verhältnis zueinander stehen (vom Einfallstor für Repression einmal ganz abgesehen).
Die online-Variante ist zudem ein innovativer Schritt, da es bislang keinen bzw. keinen durchgehenden Internetauftritt der radikal in den vergangenen Jahren gegeben hat. (Nach dem weiteren Repressionsschlag im Juni 1995, bei dem ein Konstrukt aus “radikal, K.O.M.I.T.E.E. und der antiimperialistischen zelle” durch die BAW am Reißbrett entworfen wurde, wurden die radikal-Nummern 153 bis 155 ins Netz gestellt, was zu diesem Zeitpunkt im besten Sinne avantgardistisch war) Eine Internetpräsenz schafft zudem einen “demokratischen” Zugang zu den radikalistischen Textinhalten. Damit wird nicht nur “in die Breite” gegangen, sondern aufgrund der allgemeinen Zugänglichkeit die Diskutierbarkeit der radikal wesentlich erleichtert. Bis auf Ausnahmen gehen wir davon aus, dass alle potentiell bzw. tatsächlich Interessierten über das Medium Internet einen Zugriff auf die Ausgaben der radikal haben werden können. Die klandestine Herstellung und der klandestine Vertrieb der Druckausgabe wird durch die radikal-Webside quasi aufgebrochen, transparent.
Diejenigen GenossInnen, die noch nicht in das Verteilersystem und das “Von-Hand-zu-Hand-reichen” der radikal einbezogen werden konnten, haben jetzt zumindest eine bisher nicht dagewesene Option der “Beschaffung”. Sicherlich noch keine Optimallösung, aber immerhin eine, an der weiter gefeilt werden kann. Hiermit sparen wir ganz nebenbei, eine Abo-Kartei anlegen zu müssen. Damit geht zudem eine Minimierung von Risiken einher, denn jede Adressverwaltung ist, falls sie in die falschen Hände gelangt, ein neuralgischer Punkt.
Mit der Homepage wird zusätzlich die Möglichkeit geschaffen, dass dort Texte veröffentlicht werden, die u.a. aus Platzgründen in der Druckausgabe keinen Platz finden konnten. Somit entgehen wir dem Problem, Texte aufgrund von Platzmangel “schieben” zu müssen. Außerdem denken wir, dass wir damit die online-radikal ein bisschen “aufwerten”, wenn hier weiteres radikal-Textmaterial zu finden ist. Selbstverständlich bleibt es dem Redaktionskollektiv vorbehalten, eingereichte Texte und Beiträge unveröffentlicht zu lassen.
Damit wäre die “Postille”, so denken wir, konzeptionell ausreichend “durchstrukturiert”: Sie ist als RL-Projekt ein publizistischer Ausdruck eines organisierten Teils der revolutionären Linken, der klassenautonomen/proletarischen Linken, und gleichzeitig ein meinungsbildendes und -machendes Forum der Strömungen der revolutionären Linken insgesamt. Damit hat sie sich inhaltlich orientiert/positioniert und dokumentiert äußerlich aufgrund der Verwendung eines Tarnumschlags eine eigene Note in der ereignisreichen und durch Höhen und Tiefen gekennzeichneten Geschichte der radikal.

radikal-Redaktion

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